1491. Der Boss und sein Flattermann (03): Flusspferd

Der Boss und sein Flattermann

Tier 03: Flusspferd

Der Engel stand unbewegt im Büro und sah dem Boss zu, wie er ein weiteres Tier erschuf. Mit mittlerweile gut geübter Hand griff der Alte in eine große Schale und holte einen Haufen Modelliermasse hervor.
»Flattermann, was steht als nächstes auf dem Plan? Sag schon. Ich spüre, dass ich mich in einer kreativen Phase befinde. Heute ist alles möglich.«
»Boss, ich bin doch ein Engel.« Der Engel seufzte, fuhr mit dem Finger über die Liste, die an seinem Klemmbrett hing und nickte. »Das Pferd ist heute dran. Ich bin schon sehr gespannt, wie es aussehen wird.«
Der Boss legte die Stirn in Falten und dachte nach. »Pferd klingt nach einem großen, eleganten Tier. Muskulös und kräftig.«
Er begann zu formen, setzte Kopf und Beine an den Körper und war zufrieden. »Jetzt noch Leben einhauchen.« Doch bevor sein Atem das Tier einhüllen konnte, wurde es von einem Windstoß erfasst und vom Tisch gestoßen.
»Verdammt! Wer hat denn das Fenster offen gelassen? Flattermann, warst du das etwa?«
Der Engel schüttelte sofort den Kopf.
Schnell umrundete der Boss seinen Tisch. Das neu erschaffene Pferd lag mit dem Rücken auf dem Boden, strampelte mit den Beinen und kam nicht allein auf die Füße. Er richtete es auf und besah es von allen Seiten. Die langen, schlanken Beine waren durch den Aufprall stark verkürzt. Die Modelliermasse hatte sich in den nun dicken Körper verschoben. Auch der Kopf war jetzt sehr breit.
»Schaut euch an, wie ich aussehe.« Das Pferd beschwerte sich. »Ich bin so groß, dick und schwer, dass ich mich kaum bewegen kann. Was soll ich denn jetzt machen?«
Der Boss legte die Stirn in Falten. Er strich sich über den langen Bart. Eine Lösung wollte ihm allerdings nicht einfallen.
In diesem Moment wurde die Tür aufgestoßen. Die Chefin kam herein. Ihr Blick fiel sofort auf das Malheur. »Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du bei deiner Schöpfung behutsam vorgehen sollst? Jetzt schau dir das arme Tier an. Es wird an Land nur Probleme bekommen. Ich kann mir jetzt schon ausmalen, wie kaputt seine Gelenke sind, wenn es tagtäglich über die Wiesen grast.«
Sie nahm das Tier auf den Arm und brachte es nach draußen. »Mir hilft bei meinen schmerzenden Knien Wassersport. Ich habe da eine tolle Gruppe, mit der ich mich täglich treffe. Das wäre vielleicht etwas für dich. Bis dahin kannst du es dir drüben im Fluss gemütlich machen. Im Wasser wiegt man nämlich nicht so viel.«
Das Pferd stieg hinein und seufzte wohlig auf. »Ich brauche keinen Sport. Ich bleibe einfach hier. Dann bin ich jetzt eben ein Flusspferd.«

(c) 2023, Marco Wittler

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