1515. Cornelius hat Ferien

Cornelius hat Ferien

Ein Gong schallte laut durch das große Gebäude. Cornelius blickte zur Uhr hinauf und freute sich riesig. Die letzte Schulstunde war endlich vorbei. Auf den Beginn der Ferien hatte er sich schon seit Wochen gefreut.
»Aber was mache ich jetzt mit so viel Freizeit? Darüber habe ich mir noch gar keine Gedanken gemacht.«
Er zog sich gemütlich in seinen dicken Panzer zurück, schloss seine Augen und begann zu grübeln.
Moment mal. Cornelius blieb in der Schule zurück und besaß einen Panzer? Ja, da hast du richtig gelesen, denn Cornelius war eine Schildkröte.
Ja, aber eine Schildkröte darf man doch nicht allein lassen. Sie braucht regelmäßig Wasser und Futter. Auch das ist richtig. Aber bei Cornelius handelte es sich um eine Schildkröte aus Plüsch. Nur wer ihn mal ganz genau unter die Lupe nahm, wusste, dass auch in ihm Leben steckte.
Cornelius dachte über das letzte Jahr nach. Es war ganz schön chaotisch gewesen. So viele wilde Kinder auf einem Haufen, hatte er noch nie erlebt. Das durfte nach dem Sommer gerne wieder ruhiger werden.
Plötzlich öffnete sich die Tür zum Klassenraum. Die Lehrerin kam noch einmal herein und griff nach Cornelius. »Dich nehme ich mit. Du kannst eine Runde in der Waschmaschine gut gebrauchen. Du bist einfach durch zu viele Hände gegangen.«
Waschmaschine? Och, nee. Darauf hatte die Schildkröte gar keine Lust. Er musste irgendwie aus dieser Nummer herauskommen.
Er wurde in den Kofferraum eines Autos gelegt. Noch bevor die Klappe komplett geschlossen wurde, rollte er raus, ließ sich auf den Boden fallen und lief unbemerkt davon.
In seiner Eile und weil er nicht entdeckt werden wollte, achtete Cornelius nicht auf seinen Weg. Wenige Schritte hinter einem Busch stürzte er in einen kleinen Fluss und wurde vom Wasser davon getragen.
»Hilfe! Mir muss jemand helfen! Ich kann doch nicht schwimmen.«
Es ging hin. Es ging her. Mal wurde die Schildkröte durch eine Kurve gespült, mal über große Felsen hinweg. Der Plüsch und die Füllung von Cornelius Körper saugte sich schnell mit Wasser voll. Er würde schon bald versinken und am Grund des Flusses liegen bleiben.
Da wurde er von scharfen Krallen gepackt und hoch in die Lüfte gehoben.
»Hilfe! Mir muss jemand helfen! Ich werde entführt.«
»Nun schreib doch nicht so laut. Das hilft dir jetzt auch nicht weiter.« Es war ein großer, kräftiger Adler, der sich Cornelius geschnappt hatte. »Du wirst heute mein leckeres Abendessen. Ich habe schon eine schmackhafte Soße auf dem Herd stehen, in der du dich richtig gut machen willst.«
Cornelius begann zu betteln, zu weinen und zu flehen. »Ich werde dir auch gar nicht schmecken. Ich bin keine echte Schildkröte, ich bin aus Plüsch.«
Der Adler stockte mitten im Flug. Für einen kurzen Moment hatte es den Anschein, dass er in der Luft hängen blieb, als hätte jemand eine Pausentaste gedrückt. Verwirrt blickte er nach unten, kniff ein paar Mal den weichen Panzer und seufzte. »Dann muss ich ja doch noch in die Stadt zum Einkaufen. Verdammt!«
Er ließ Cornelius über einer großen Wiese fallen und flog davon.
Die Schildkröte schlug hart auf. Zum Glück konnten keine Knochen brechen. »Schnell weg von hier. Ich will nicht noch einmal auf der Speisekarte stehen.«
Cornelius lief los, kam aber nicht weit. Der Fuß eines Menschen trat kräftig gegen ihn und kickte ihn weit über das Grün bis in ein Netz. »Tor!«
Cornelius schüttelte verwirrt den Kopf. Was passierte denn nun noch? Hatte man ihn etwa mit einem Fußball verwechselt?
Jemand griff nach ihm. Schon wieder flog er zwischen mehreren Füßen hin und her, bis ein lauter Pfiff das wilde Treiben beendete. »Das ist doch gar nicht der Ball. Wie kommt denn dieses Plüschtier hierher?«
Ein Mann in gelbem Trikot schnappte sich Cornelius und warf ihn vom Spielfeld über einen Zaun. Dort landete er dort, wo er vor ein paar Minuten abgehauen war. Er lag nun auf dem einsamen Schulhof. Größer hätte der Zufall gar nicht sein können.
»Du meine Güte. Die Welt außerhalb der Schule ist ja völlig chaotisch. Da bleibe ich lieber dort, wo ich hingehöre. Da sind mir meine Chaoskinder lieber. Mit denen habt man wenigstens Spaß.«
Und so freute sich die Plüschschildkröte jetzt schon auf das Ende der Ferien und eine neue Schulklasse.

(c)  2023, Marco Wittler

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