1600. Mila erobert die Welt

Mila erobert die Welt

Es rumpelte in der schmalen Seitengasse. Eine Mülltonne wurde umgestoßen. Der darin befindliche Unrat verteilte sich auf dem Boden.
»Ha! Endlich.« Mila, die kleine Maus, kam aus dem Häuserschatten hervor. »Hätte nicht gedacht, dass das so schwer geht.«
Mit ihrer feinen Nase schnüffelte sie mal hier, mal dort. An einem Stück Käse, das wirklich noch sehr gut aussah und duftete, lief sie achtlos vorbei. Auch eine noch verpackte Wurst konnte ihr Interesse nicht wecken.
»Na los, komm schon. Bitte sei hier.«
Mila wusste ganz genau, dass sich im Müll des Supermarktes viele Dinge befanden, die man noch gut benutzen konnte, die noch unbenutzt waren.
»Ha! Da ist doch was ich suche.«
Die Maus förderte unter einem großen Salatblatt eine Packung Taschentücher zu Tage. »Super. Danach habe ich jetzt drei Wochen gesucht. Endlich kann ich meine Erfindung zu Ende bringen und testen.«
Mila machte sich mit ihrer Beute aus dem Staub und brachte sie in einem kleinen Loch in einer Hauswand in Sicherheit.
Die nächsten Stunden arbeitete sie ohne Pause, hämmerte, schraubte, klebte. Erst kurz vor Sonnenaufgang war lauter Jubel in der Gasse zu hören.
Mila verließ ihre kleine Wohnhöhle und rief ihre Artgenossen herbei.
»Es ist so weit. Endlich kann ich euch zeigen, woran mein Erfindergeist so lange gearbeitet hat. Heute werde ich den festen Boden unter meinen Füßen verlassen. Heute werde ich zur ersten Maus, die durch die Lüfte fliegen wird.«
Sie spannte das Taschentuch auf, dass sie mit mehreren Gummibändern an ihren Armen befestigt hatte. Jetzt musste nur noch ein Windstoß zwischen den Häusern hindurch wehen. Aber gerade jetzt tat sich nichts.
»Ähm … also … gleich wird es was.«
Nein, es wurde nichts.
Schon wurden die ersten neugierigen Mäuse ungeduldig. Die einen begannen zu lachen, andere drehten sich weg und wollten schon gehen.
»Bitte bleibt. Der Wind wird bestimmt nicht mehr lange auf sich warten lassen. Es wird grandios. Ich werde über euren Köpfen schweben.«
Der Wind weigerte sich allerdings standhaft, Mila zur Hilfe zu eilen.
»Nanu.« Auf der Straße saß ein großer Elefant in seinem Lastwagen. Er war gerade auf dem Weg zur Arbeit, als er zufällig einen Blick in die Gasse warf. Er entdeckte Mila, die traurig am Boden saß und sich bereits erste Tränen aus dem Gesicht wischte. »Hm. Sie braucht Wind? Nichts einfacher als das.«
Der Elefant holte tief Luft, füllte seine Lungen so weit es nur ging. Dann entließ er sie mit Kraft durch seinen langen Rüssel in die Gasse hinein.
Das Taschentuch der kleinen Maus entfaltete sich, hob ab und zog Mila mit sich in Höhe. »Ich fliege! Ich kann fliegen wie ein Vogel!«
Die kleine Erfinderin wurde immer kleiner, bis sie scheinbar zwischen den Wolken verschwand. Der Elefant lächelte, während er ihr hinterher blickte. »Guten Flug und gute Reise, kleine Maus.« Dann setzte auch er seinen Weg fort und träumte dabei von einem Urlaub in einem weit entfernten Land.

(c) 2024, Marco Wittler

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