1601. Flaschenpostbote Knut platzt der Kragen

Flaschenpostbote Knut platzt der Kragen

Flaschenpostbote Knut schwamm vom Wohnbereich in sein Büro. Dort stapelte sich bereits die Arbeit. Ganze neun Umhängetaschen waren gepackt und warteten nur darauf, in der Stadt unter dem Meer geleert zu werden.
Er warf einen Blick in den Spiegel, zog sich die Uniformjacke zurecht, setzte seine Dienstmütze auf und strich sich seinen dicken Schnurrbart glatt. Jetzt fehlte nur noch der Seestern auf der Brust, der andere sofort erkennen ließ, dass er der Flaschenpostbote war.
»Hallo!«, rief Enno mit seiner ungewöhnlich tiefen Stimme und winkte mit seinen fünf kleinen Armen.
Die Eingangstür schwang auf. »Fiete!« Knut begrüßte seinen Kollegen, den besonders fleißigen Kranken, der mühelos mit seinem Armen acht Taschen auf einmal tragen konnte.
Gemeinsam zogen die drei los, um die Bewohner der Stadt mit den neuesten Neuigkeiten zu versorgen. Noch bevor sie den kleinen Gartenzaun hinter sich lassen konnten, blieb Knut mit seiner Schwanzflosse an etwas hängen. Der alte Meermann setzte seine Tasche ab und blickte nach unten. »Nanu, was ist denn das?«

Am Zaun hing ein durchsichtiges, dünnes Etwas, in dem sich sechs große Löcher befanden. »Mist! Schon wieder dieser schlimme Plastikmüll von den Menschen. Der Sturm der letzten Nacht hat wohl eine ganze Menge vom Strand in den unseren schönen Ozean gespült. Wie kann man nur so rücksichtslos mit der Natur, in der wir alle leben, umgehen?«
Nur mit Mühe konnte sich Knut befreien und den Unrat entsorgen.
Die Flaschenpostboten bogen in die Straße ab und warfen erste Flaschen in die Briefkästen, als ihnen eine Qualle entgegen schwebte.
»Hallo!«, sagte Enno, der nur dieses eine Wort beherrschte und es für alles benutzte.
»Ducken!«, rief Knut. »Sonst gibt es gleich fiese Brandblasen.«
Die Qualle zog gemächlich an ihnen vorbei und entpuppte sich dabei als etwas ganz anderes.
»Das ist eine verdammte Plastiktüte.« Der Meermann griff nach ihr knüllte sie wütend zusammen und stopfte sie in seine Tasche. »Jetzt reicht es mir. Ich muss etwas dagegen unternehmen. So kann und darf das einfach nicht mehr weitergehen. Der Ozean ist unser Reich, den dürfen uns die Landmenschen nicht auch noch zerstören.«
Er drückte seine Umhängetasche Fiete in einen seiner Arme. »Tut mir leid. Ich muss jetzt Feierabend machen. Ich muss den Menschen eine Botschaft zukommen lassen.«
Knut schwamm zurück ins Flaschenpostamt. Er legte sich einen Briefbogen zurecht, griff zu Fietes Tinte und einen Federkiel, der vor langer Zeit angeschwemmt worden war und begann zu schreiben.
»Lieber Präsident … Frau Königin … Fürst? Graf? Ministerin? Ja wem muss ich denn schreiben? Ich kenne mich bei denen doch gar nicht aus.« Knut wischte das Schreibzeug von Tisch, schlug die Hände vor sein Gesicht und seufzte. »Ich muss persönlich an Land. Daran führt kein Weg vorbei.«

Einen Tag später tauchte erst der Kopf, dann der Rest eines alten Meermanns am Strand auf. Er robbte auf seiner langen Schwanzflosse an Land und hob ein großes Schild in die Höhe. »Rettet den Ozean! Werft keinen Müll in die Weltmeere!«, rief Knut passend zur Aufschrift immer wieder.
Die meisten Menschen, die sich gerade am Ufer befanden, zogen sich gestört zurück. Ihnen war es wichtiger, die Sonne zu genießen. Andere blickten nur flüchtig vom nahen Gehweg herüber, dann aber schnell wieder weg.
»Schau mal, Papa, da ist Arielle, die Meerjungfrau.« Ein kleines Mädchen zeigte auf Knut. »Darf ich mir ein Autogramm holen?«
Knut schnaubte beleidigt. »Diese Menschen sind absolut ignorant. Die interessiert es überhaupt nicht, was mit meinem Zuhause geschieht. Ich muss wohl um einiges deutlicher in meinem Protest werden.« Er packte sein Plakat wieder ein und tauchte unter.

Am nächsten Morgen lief der König eilig durch die Gänge seines Schlosses. Von beiden Seiten redeten seine Minister und Ministerinnen auf ihn ein, unterrichteten ihn von aktuellen Ereignissen aus der Politik und zählten die anstehenden Termine auf. Die Gruppe hielt nur kurz vor einer riesigen, vergoldeten Tür. Zwei Wachmänner öffneten sie. Schon wollte der König hindurch gehen, doch da stürzte den Menschen ein riesiger Berg alter Muschelschalen entgegen und versperrte ihnen den Weg.
»Was soll denn das?« Der König war außer sich vor Wut und begann lauthals zu schimpfen. »Was soll der ganze Müll in meinem Thronsaal? Wer steckt hinter dieser Unverschämtheit?«
»Das werde dann wohl ich sein.«
Eine erboste Stimme machte auf sich aufmerksam und den König neugierig. Dieser erklomm die Muscheln, rutschte mehrmals ab, bis er schließlich auf die andere Seite blicken konnte. In seinem goldenen Thron hatte es sich ein alter Mann bequem gemacht, dem die Beine fehlten, er dafür einen langen Fischschwanz besaß.
»Du siehst aus, wie diese Meerjungfrau, wie heißt sie gleich?«
Knut stöhnte genervt. »Sprich es bloß nicht aus. Ich bin Flaschenpostbote Knut und habe dir eine Nachricht aus meiner Welt zu überbringen.«
Er entrollte die Botschaft und las sie laut vor. »Wir, die Bewohner der sieben Weltmeere sind erzürnt, dass die Menschen des Landes ihren Müll und Unrat tagtäglich in der Natur und im Wasser entsorgen. Wir sind es leid, dass wir darin leben müssen, dass wir und darin verfangen, verletzen, ihn mit Nahrung verwechseln und noch Schlimmeres passiert. Wir fordern euch hiermit dazu auf, euch selbst um euren Müll zu kümmern.«
Der König wurde mit jedem Wort roter im Gesicht. Er war kurz davor zu kochen. Wahrscheinlich würde ihm gleich noch Dampf aus den Ohren kommen.
»Haltet ihr euch nicht an unsere Forderungen, werden wir bei jedem Verstoß mehrere eurer Behausungen mit alten Muschelschalen und Sandfüllen, bis das Land darunter versinkt und euch kein Platz mehr zum leben bleibt.«
Der König wollte etwas sagen, sich beschweren, hielt dann aber inne und nickte schließlich. »In Ordnung. Wir passen in Zukunft besser auf unseren Müll auf.«
Knut beugte sich vor. »Noch besser ist es, wenn ihr gleich weniger oder gar keinen Müll produziert. Dann bleiben unsere beiden Welten sauber.«

(c) 2024, Marco Wittler

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