1670. Der Anton und Herr Fritte im Schein der tausend Lichter

Der Anton und Herr Fritte im Schein der tausend Lichter

Während sich die Dunkelheit bereits wie eine dicke Decke über die Welt gelegt hatte, waren dunkle schwere Wolken aufgezogen, die jegliches Licht von Mond und Sternen aussperrten. Beinahe unbemerkt hatte es vor ein paar Minuten zu schneien begonnen.
Hoch oben auf einer Klippe am Meer stand eine alte Villa. In einem ihrer vielen Zimmer brannte noch Licht. In der Bibliothek hatten es sich zwei Kater in großen Ohrensesseln gemütlich gemacht und tranken leckeren Punsch aus schweren Krügen, während ein dritter am Kamin saß und gedankenverloren in die Flammen blickte.
»Schau mal aus dem Fenster, mein lieber Anton, ist das nicht ein herrlicher Silvesterabend?«
Anton, der einen Kopf kleiner, aber dafür doppelt so breite Schultern wie Herr Fritte besaß, sah aus dem Fenster und nickte nach einer Weile.
»Es schneit. Das ist wirklich wunderschön.«
Herr Fritte, der es sich bereits seinen weichen Abendmantel angezogen, aber trotzdem nicht auf seine schicke Fliege verzichtet hatte, lächelte. »Ja, das stimmt. Aber es noch mehr als das. Es sind die Hügel in der Ferne, die jetzt unter einer Schicht Puderzucker verschwinden. Es ist die die Stadt, die nur noch aus Glitzer zu bestehen scheint. Es ist die Welt, die nun in Stille versinkt.«
Anton legte die Stirn in Falten, während er angestrengt in die Schwärze der Nacht blickte und zu lauschen versuchte. »Ich kann aber nichts sehen. Es ist viel zu dunkel. Aber die Stille kann ich hören.« Er verdrehte die Augen, als ihm einfiel, dass man wirklich alles auf der Welt hören konnte, nur eben die Stille nicht.
»Aber wir wissen, wie es Morgen aussehen wird und können und jetzt schon an diese Schönheit des Winters erinnern. Ist das nicht fantastisch?«
Nun mühte sich auch der dritte und kleinste Kater von seinem Platz auf. Mit seinen beiden Krücken überwand er mühelos den Weg zum Fenster. Mr. Little beobachtete den wilden Tanz der Flocken und geriet ins Schwärmen. »Es ist das perfekte Wetter für die letzte Nacht des Jahres. Die Stille erzeugt eine ganz besondere Atmosphäre. Wenn es doch nur so ruhig bleiben würde.« Mit großer Sorge dachte Mr. Little an das Feuerwerk, das um Mitternacht mit viel Licht und Lärm die Tiere im nahen Wald und den Wiesen der Umgebung in Angst und Schrecken versetzen würde. »Es wäre so schön, wenn man darauf verzichten würde. Es gäbe weniger Krach, weniger Gestank und vor allem weniger Müll in der Umwelt.«
Herr Fritte riss vor Begeisterung die Augen auf. »Mr. Little, das ist die beste Idee, die ich dieses Jahr gehört habe. Sie sind ein Genie. Wir sollten uns sofort darum kümmern.«
Mr. Little zog eine Augenbraue in die Höhe. »Was habe ich denn gesagt?«
Herr Fritte lotste seine beiden Begleiter in den Keller. Aus einem der hinteren Räume, der sonst nie benutzt wurde, war ein leises Summen, Brummen und Schnarchen zu hören. Es klang, als würden darin unzählige kleine Insekten schlafen und wegen ihrer aufregenden Träume immer wieder mit den Flügeln schlagen.
»Ihr erinnert euch noch an den Schwarm Glühwürmchen, den wir im Sommer entdeckt haben? Ich habe den Leuchtkäfern angeboten, bei uns zu überwintern, damit sie im Frühling gut gestärkt in die warme Jahreszeit starten können. Vielleicht haben sie Lust, ihre Ruhepause für eine Nacht zu unterbrechen.«
Herr Fritte klopfte leise an, warf einen Blick in den dunklen Raum und erspähte ein erstes Lichtlein, das langsam zu glimmen begann. Ihm folgten schnell weitere, bis der Raum hell erleuchtet war.
»Meine lieben Freunde, es ist Silvester und unser Mr. Little hat eine Idee, um der Welt eine grandiose Neujahrsnacht zu bescheren. Habt ihr Lust, uns dabei zu helfen?«
Fünf Minuten vor Mitternacht öffnete Anton die Türen des Balkons der zur Stadtseite hinaus ging. Mit seinen kräftigen, tätowierten Armen brachte er einen Bienenkorb an die frische Luft und stellte ihn auf einem Tisch ab. Ihm folgten Herr Fritte und Mr. Little, die sich an die Brüstung stellten und gespannt darauf warteten, ob die Idee wirklich so gut war, wie sie sich anfühlte.
»Meine Freunde, es ist so weit. Ihr könnt starten.«
Das ließen sich die Glühwürmchen kein zweites Mal sagen. In warme Westen gekleidet, schwärmten sie aus und verteilten unbemerkt über der ganzen Stadt.
Nach und nach kamen nun auch die Bewohner aus ihren Häusern, versammelten sich in den Straßen und bereiten ihr Feuerwerk vor. Der Bürgermeister, der sich gut vorbereitet hatte, nahm ein Mikrofon in die Hand und zählte einen Countdown herunter, der über Lautsprecher bis in den letzten Winkel zu hören war.
»Fünf, vier, drei, zwei, eins, null. Frohes neues Jahr!«
Auf diesen Augenblick hatten die Glühwürmchen nur gewartet. Sie ließen ihre Lichter aufleuchten, dass sich in Abermillionen Schneeflocken spiegelte, brach und über den ganzen Himmel verteilte. Es wurden eine unglaublich große und grandiose Lichtershow, die kein Feuerwerk der Welt hätte überbieten können. Den Bewohnern der Stadt standen vor Begeisterung die Münder auf. Sie vergaßen sogar, ihre eigene Knaller, Böller und Raketen zu zünden. Diese Silvesternacht wurde zwar still, aber dennoch etwas ganz Besonderes.
Mr. Little blickte mit einem gewissen Stolz auf das Lichtspektakel am Himmel und hoffte insgeheim, man würde jeden Jahreswechsel ohne Lärm, Müll und Gestank auskommen.

(c) 2024, Marco Wittler

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