Ritter Fridolin von Kieselstein zieht aus
Mit dem Untergang der Sonne am Horizont war es über den Wiesen, Wäldern und Feldern der Umgebung still geworden. Jedes große und kleine Tier hatte sich zur Ruhe gebettet. Selbst die Grillen, die normalerweise die Nacht mit ihrem Zirpen unterhielten, lagen bereits unter ihren kuschelig warmen Decken, weil sie am Tag eine große Barbeque Party gefeiert hatten. Nur einer war wach und blickte unter größter Anstrengung in die Dunkelheit und hielt Wache.
Ritter Fridolin von Kieselstein stand auf dem Wehrgang der alten Burg und achtete darauf, dass sich niemand heranschlich, um dem König zu schaden oder ihm selbst sein Butterbrot und damit die Verpflegung für diese Nacht stahl.
Fridolin gähnte laut und streckte seine Arme so weit aus, dass die verbeulte, rostige Rüstung zu klappern begann.
»Hey, Ruhe da oben. Es gibt hier Leute, die endlich schlafen wollen.«, rief ein Maulwurf, der gerade mit seinem Kopf aus der Erde herauskam und mit den kleinen, verträumten Augen nicht einmal ansatzweise bis zu den Zinnen hinaufschauen konnte. »Öl deine Rüstung ein oder bring sie auf den Schrottplatz.«
Fridolin verzog das Gesicht. Es war ihm sichtlich unangenehm, dass er die Nachbarn gestört hatte. Wie in Zeitlupe drehte er sich zur Seite und setzte sich auf einen kleinen Holzschemel. »So ist es mir eh lieber. Dann kann ich nicht über Steinchen stolpern, wenn sie ungehört aus der Burg bröseln.«
Plötzlich erhob sich ein mächtiger Schatten und überragte Zinnen und Ritter um Längen. Lautes Gebrüll zerriss die Nachtruhe. Riesige Flammen stoben in die Höhe und erhellten die Umgebung für ein paar Augenblicke, dass man fast dachte, die Sonne würde schon wieder aufgehen. Der Ritter fiel vom Schemel und suchte verzweifelt und vergeblich darunter Schutz.
Ein mächtiger Drache hatte sich unbemerkt angeschlichen und schwebte nun vor der Wache.
»Hey, Fridolin, hast du heute wieder Dienst oder machen wir einen drauf? Mir ist noch nicht nach schlafen. Ich dachte, wir könnten eine Weile gemeinsam um die Häuser ziehen.« Er grinste breit. »Oder durch die dunklen Höhlen im Wald. Hauptsache, wir haben noch etwas Spaß.«
Das hatte Fridolin noch gefehlt. Normalerweise verstand er sich mit dem letzten noch lebenden Dinosaurier, der sich zur Sicherheit als Drache tarnte. Wer vorgab, Feuer spucken zu können, wurde in der Regel in Ruhe gelassen. An Drachen wagten sich nur die mutigsten Ritter heran. Das war Fridolins Aufgabe. Doch der wusste genau, dass er die Jagd nur vortäuschen musste.
»Musst du mich eigentlich jede Nacht, wenn ich Dienst habe, erschrecken? Ich bekomme noch einen Herzinfarkt, wenn das weiter geht. Ich habe darauf keine Lust mehr.« Er überlegte kurz und seufzte. »Ich habe auf das alles hier eh keine Lust mehr. Man blickt jeden Tag auf meterdicke Mauern. Ich muss ständig Wache schieben, weil uns jemand überfallen könnte. Als Ritter wird von mir erwartet, dass jederzeit eine holde Maid rette. Ich weiß aber, dass die das gar nicht so unbedingt wollen, weil sie das ganz gut allein schaffen. Drachen jagen, Dinos verstecken. Und ständig verwechselt man mich mit einer Konservendose. Ich habe es langsam satt. Ich will gar kein Ritter mehr sein. Ich kündige und suche mir in der Stadt eine neue Bleibe.«
Fridolin löste das lange Schwert von seiner Hüfte und ließ es klirrend auf den Steinboden fallen. Er drehte sich und und verschwand.
Am nächsten Morgen stand Fridolin auf dem Marktplatz und studierte die Wohnungsanzeigen, die auf einem großen Plakat aufgelistet waren. Mit Feder und Papier schrieb er sie ab und machte sie auf den Weg, sie nach und nach abzuklappern. Er hatte keinen Zweifel daran, relativ schnell eine neue Bleibe zu finden. Von hier aus waren es nur wenige Schritte, bis er an die erste Tür klopfen konnte, die direkt geöffnet wurde.
»Du lieber Himmel!« Eine ältere Dame schreckte zurück. »Es steht klar und deutlich in der Anzeige, dass ich nicht an eine Blechbüchse vermiete. Verschwinde von hier!«
»Ich werde meine Rüstung ablegen. Versprochen. Ich habe eh gekündigt.« Doch da war die Tür schon längst wieder geschlossen.
Bei dieser einen Begegnung war es nicht geblieben. Ein junges Paar hätte den Ritter beinahe aufgenommen. Das einzige Problem hatte in der rostigen Rüstung gelegen. Blitzblank wäre sie ihnen lieber gewesen. Ihnen fehlte noch ein großer Spiegel für den Flur.
Um das Haus des Schrotthändlers machte Fridolin sicherheitshalber einen großen Bogen, während man ihn an den meisten Türen durch kleine Gucklöcher nur misstrauisch ansah, aber nicht öffnete.
Zum Schluss gab es nur noch eine Adresse auf der Liste. Obwohl er schon längst jede Hoffnung aufgegeben hatte, klopfte der Ritter an. Ein älterer Herr öffnete. Seine Augen glänzten beim Anblick der Rüstung.
»Ich komme wegen des Zimmers. Ich suche gerade eine neue Bleibe.« Fridolin hielt seinen Zettel hoch.
»Kommense rin, meen Jung. Ick bin och mal een Ritter jewesen und würd mir freun, wennse bei mir einziehn. Wir haben uns bestimmt ne Menge zu erzähln, wa?«
Fridolin konnte es kaum fassen. Er stand einem Kollegen gegenüber. Etwas Besseres hätte ihm gar nicht passieren können.
»Mensch, Fridolin, wie läuft es denn mit der Wohnungssuche? Hast du schon was gefunden?« Hinter dem Ritter war der Dinodrache aufgetaucht. »Ich könnte direkt eine Party organisieren und wir machen zur Feier des Tages einen drauf.« Er spuckte eine so große Flamme in den Himmel, dass der alte Mann beinahe aus seinen Latschen gekippt wäre.
»Nix da!« Er wehrte sofort ab. »Hier wird nicht jefeiert. Dat könnter euch abschminken. Hab keene Lust, dass mir dat Unjeheuer die Bude abfackelt. Trollt euch!« Er schlug die Tür mit Wucht zu und beendete in Fridolin jede Hoffnung auf eine neue Wohnung.
»Das hast du ja toll hingekriegt.« Er blickte den Dino böse an. »Jetzt gibt es nur noch einen einzigen Platz, an dem ich zukünftig wohnen kann. Ich ziehe zu dir in deine Höhle.«
»Wie? Was?« Der Dino erschrak. Ihm wurde gerade bewusst, was er sich angetan hatte. »Och, menno. Wie soll das denn funktionieren? Du schnarchst, sobald du eingeschlafen bist und erschreckst sogar eine taube Spinne. Ich würde kein Auge mehr zumachen können.«
Fridolin lachte bitter. »Das hättest du dir früher überlegen können. Musst du dir eben in jedes Ohr ein Schaf stecken, damit du mich nicht schnarchen hörst. Ich bin mir aber sicher, dass die Schafe etwas dagegen haben werden. Dir wird schon etwas einfallen. Und jetzt lass uns aufbrechen. Ich muss noch mein Zimmer bei dir einrichten.«
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