Der alte Hexenmeister
»Und lass die Finger vom Zauberstab und meinem Hexenbuch. In meiner Abwesenheit wird keine Magie angewandt. Das geht eh nur wieder in die Hose.«
Der alte Hexenmeister warf seinem Zauberlehrling einen mahnenden Blick zu, bevor er das Haus verließ, um die letzten Weihnachtseinkäufe zu erledigen. Statt auf seinen Besen zu steigen, schlich er sich um das Haus und warf einen neugierigen Blick durch eines der Fenster.
»Er wird die Finger bestimmt nicht vom Zauberstab lassen. Die Versuchung ist einfach zu groß.« Er lächelte spitzbübisch und dachte daran, dass es ihm als jungen Mann ähnlich ergangen war. Wozu eimerweise Wasser für das erholsame Bad schleppen, wenn es auch der Besen erledigen kann? »Verdammt, war mein Hexenmeister damals sauer, als ich sein Haus komplett unter Wasser gesetzt habe. Wie er mir damals die Leviten gelesen und die Ohren langgezogen hat. Beim Gedanken daran, schmerzen sie mir immer noch.«
Der Zauberlehrling betrat die Kammer, die mit magischen Gegenständen und einem Regal voller Bücher gefüllt war. Der Hexenmeister versteckte sich für einen Moment, um nicht entdeckt zu werden.
Der Zauberlehrling streifte durch den Raum, spielte zunächst ein gewisses Desinteresse, bevor er wie zufällig, die Hand auf den Zauberstab auf dem Tisch legte. Bedeutungsvoll nahm er Platz. Es schien, als spüre er die Magie, die ihn nun durchfloss.
»Dann wollen wir mal schauen.« Er öffnete das dicke Hexenbuch, blätterte durch die Seiten, bis er schließlich auf eine Beschwörungsformel stieß, die ihm zusagte.
Er hob den Zauberstab, bewegte ihn hin und her, rauf und runter und las die Formel vor.
Das Weihnachtsfest steht vor den Toren
Drum beschwör ich unverfroren
Das Sternenlicht, das am Himmel brennt
Steig herab vom finsteren Firmament
Erhelle uns den dunklen Weihnachtsbaum
Verwandel uns das Fest ist einen Lichtertraum.
Der Hexenmeister schmunzelte. Sein Zauberlehrling hatte eine wundervolle Beschwörung ausgesucht. Trotzdem hatte er sich über das Verbot hinweg gesetzt. »Ich muss ihm eine Lektion erteilen.« Nur kurz dachte er an einen Satz heißer Ohren, schüttelte dann aber den Kopf. Er wollte es besser machen.
Er holte nun seinen eigenen Zauberstab aus der Manteltasche, murmelte leise ein paar unverständliche Worte.
Wie von Geisterhand berührt, schwang das Fenster auf. Statt der Sterne überfiel ein riesiger Insektenschwarm den Raum, hüllte zunächst den Zauberlehrling ein, dann den Baum in der Stube.
»Nein, nein, nein!« Der junge Mann schrie vor Panik. Er konnte schon den wütenden Blick des Meisters vor seinem inneren Auge sehen. »Macht, dass ihr fortkommt. Ihr seid doch keine leuchtenden Glitzersterne. Ich habe euch nicht hergerufen.«
In diesem Moment öffnete sich die Tür des Hauses. Der alte Hexenmeister kam herein. »Was hast du getan, Junge?« Er stürmte in die Stube, lief am Zauberlehrling vorbei. »Das ist … das ist …«
»Ich kann das erklären, Meister. Bitte hört mich zuerst an.«
»Das ist fantastisch. So einen wunderschönen Weihnachtsbaum habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gesehen.«
Nun wagte auch der Zauberlehrling wieder zum Baum zu schauen. Auf jedem Ast und jeder Tannennadel blitzte, glitzerte und leuchtete es. Er war von oben bis unten mit Glühwürmchen besetzt.
»Dann müssen wir die Kerzen gar nicht mehr aus dem Keller holen.«
Der alte Hexenmeister schnappte sich seinen Zauberlehrling und drückte ihn fest an sich, dabei spürte er, wie der junge Mann seine Angst schlagartig verlor und sein Selbstvertrauen um ein ganzes Stück wuchs.
»Alles richtig, alles besser gemacht.«, flüsterte sich der Alte unhörbar selbst zu. »Diesen Tag wird er als sein schönstes Weihnachtsfest im Herzen mit sich tragen.«
(c) 2025, Marco Wittler
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