186. Die erste Schlittenfahrt

Die erste Schlittenfahrt

Christian saß in seinem Kindersitz und vergrub sein Gesicht tief hinter einem dicken Schal. Seine Eltern hatten ihm einen lustigen Tag im Schnee versprochen. Also hatte er sich die letzten Tage auf Schneeballschlachten und Schneemannbauen gefreut. Doch nun waren sie mit dem Auto unterwegs zu einem hohen Berg.
»Dort liegt viel mehr Schnee als bei uns.«, hatte Papa erzählt.
Doch dann packte er den Schlitten in den Kofferraum. Christian konnte sich nichts Schlimmeres vorstellen, als mit einem Schlitten einen Berg hinab zu fahren. Am letzten Wochenende war sein bester Freund Michl bei einer Fahrt so schlimm gestürzt, dass er einen großen blauen Fleck bekommen hatte.
»Müssen wir das wirklich machen? Können wir nicht einfach nur einen Schneemann bauen und wieder nach Hause fahren?«, fragte Christian.
Aber Papa schüttelte den Kopf.
»Aber dann verpassen wir doch den ganzen Spaß. Du weißt ja gar nicht wie viel Spaß es macht, wenn einem der Wind um die Nase fegt. Außerdem kribbelt es bei schnellen Schlittenfahrten immer im Bauch. Das ist fast wie in der Achterbahn.«
Achterbahn? Christian wurde es flau im Magen. Er hatte einmal eine im Fernsehen angeschaut. Die Wagen der Bahn rasten auf einer Schiene entlang, und drehten sich sogar so weit, dass die Fahrgäste auf dem Kopf standen. Das konnte doch keinen Spaß machen.
In diesem Moment parkte Papa das Auto. Er stieg aus, holte den Schlitten hervor und half seinem Sohn beim Aussteigen.
»Fahr doch schon mal ohne mich. Ich muss mir noch die letzten Seiten in meinem Bilderbuch anschauen. Das kann ich jetzt unmöglich verschieben.«
Aber es half nichts. Papa ließ nicht mit sich diskutieren.
Sie stiegen mit mehreren anderen Menschen in eine Gondel, die an einem langen Seil auf den Berg gezogen wurde.
»Was sind denn das für komische Bretter, die der Mann da in der Hand hält?«
Papa sah sich um.
»Das sind Skier. Die schnallt man sich unter die Füße und fährt damit die Berge hinab.«
Christian bekam große Augen. Es gab tatsächlich noch etwas Gefährlicheres als den Schlitten.

Als sie auf der Bergspitze ankamen, stellte Papa sofort den Schlitten auf den Schnee. Er forderte seinen Sohn auf, sich darauf zu setzen, doch dieser weigerte sich. Also musste er es selbst vormachen.
»Siehst du, da passen wir auch zu zweit drauf. Und passieren kann da gar nichts. Das Verspreche ich dir.«
Christian wollte nicht. Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah trotzig in eine andere Richtung.
Papa stand wieder auf.
»Ich werd uns mal etwas zu Trinken besorgen. Passt du so lange auf den Schlitten auf?«
Er stiefelte fort. Christian sah sich den Schlitten an, der sich nun langsam allein in Bewegung setzte. Er lief schnell hinterher und stellte ihn quer zum Berg.
»Und damit du das nicht noch einmal versuchst, setzte ich mich auf dich drauf.«
In diesem Moment kam Papa zurück.
»Was ist denn das? Du sitzt ja auf dem Schlitten. Willst du jetzt doch fahren?«
Und schon saß er hinter seinem Sohn und gab mit den Füßen Schwung.
»Hilfe!«, schrie Christian.
Doch das half nun auch nichts mehr. Die wilde Fahrt hatte begonnen. Es ging von einem Hügel zum anderen. Sie rasten durch die Kurven und überholten einen Skifahrer nach dem anderen. Dabei kamen sie den Tannen am Rand der Piste gefährlich nahe. Nicht einmal vor kleinen Sprüngen machte der Schlitten Halt. Erst auf dem Parkplatz kamen sie wieder zum Stehen.
»Du meine Güte.«, sagte Christian.
Er war noch völlig aus der Puste und schnappte laut nach Luft, bevor er aufstand.
»Das war richtig toll. Los, Papa, lass uns gleich noch mal fahren.«
Doch packte winkte ab. Sein Gesicht hatte eine grünliche Farbe angenommen. Ihm war schlecht geworden.
»Auf keinen Fall mache ich das noch einmal. Lieber fahre ich einen ganzen Tag lang mit der Achterbahn. Auf diesen Berg bekommt mich keiner mehr hinauf.«
Während Papa aufstand musste Christian ganz laut lachen, denn er hatte die Angst vor Schlittenfahrten verloren.

(c) 2009, Marco Wittler

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