200. Der Zirkus

Der Zirkus

Die Kinder standen auf dem großen Platz und sahen sich neugierig um. Es war das erste Mal, dass sie hier her gekommen waren. Sie hielten sich an den Händen, um sich in der Menschenmenge nicht zu verlieren.
»Herein spaziert, herein spaziert.«, rief ein großer Mann mit dickem Bauch.
Er war in einer rot goldenen Uniform gekleidet und winkte jeden herbei. Auf seinem Kopf thronte ein schwarz glänzender Zylinder, den der Wind ständig fort blasen wollte.
Nun war es fast so weit. Am Kassenhäuschen wurden die Eintrittskarten gekauft.
Sie schritten die Treppenstufen hinauf und betraten das große Zelt. Unter ihren Füßen knarrte das Holz und sofort stieg ihnen allen ein unvergleichlicher Geruch in die Nasen. Es begann mit Zuckerwatte und Popcorn, die mehrere Frauen in bunten Uniformen in ihren Bauchläden verkauften. Immer riefen sie den Menschen zu, was sie alles im Angebot hatten.
Doch da war noch mehr. Es war ein Geruch, den man nicht in Worte fassen konnte. Es war der Duft nach Geschichten und Abenteuern. Und er schien jeden in seinen Bann zu ziehen.
Die Kinder setzten sich. Ihre Plätze waren in der ersten Reihe. Von dort aus würden sie alles wunderbar sehen können.
Vor ihnen war die große Bühne. Der kreisrunde Boden war mit Sägemehl und Stroh bedeckt. Am anderen Ende war ein großes Eingangstor, welches mit einem Tuch bedeckt war. Dort würden wohl die Künstler hervor kommen. Darüber saßen viele Musiker auf einem Balkon. In ihren Händen hielten sie Hörner, Pauken und Trompeten.
Langsam erlosch das Licht. Das Publikum wurde still und das Orchester begann Musik zu spielen. Ein einzelner Scheinwerfer leuchtete nun auf den Bühneneingang. Die Kinder hielten den Atem an.
Der Mann, den sie zuvor am Eingang gesehen hatten, trat nun in den Kreis und winkte allen freundlich zu. Er nahm seinen Zylinder vom Kopf und begrüßte die Menschen in seinem Zirkus.
Nach ein paar Minuten gab er die Manege frei und die ersten Künstler traten auf. Es waren zwei Clowns. Ihre Schuhe waren riesig, die Hosen drei Nummern zu groß und ihre Hemden hingen wie alte Säcke an ihnen herab. Die Gesichter waren bunt geschminkt und jeder von ihnen trug eine große Blume am Herzen. Auf ihren Köpfen saßen Hüte, die viel zu klein waren.
Es ging hin und her. Die Clowns stolperten über jedes einzelne Staubkorn am Boden, bewarfen sich gegenseitig mit Sahnetorten und bespritzten das Publikum mit Wasser aus ihren großen Blumen. Das gab ein großes Gelächter.
Nach ihnen musste man den Kopf weit in den Nacken legen. Auf einem Seil, das in luftiger Höhe gespannt war, fuhr ein Mann mit einem Fahrrad hin und er. Doch das war noch lange nicht alles, denn er wurde von einer Frau verfolgt, die mit bloßen Füßen hinter ihm her lief.
Jeder im Zelt hörte auf zu atmen. Jeder hatte Angst, dass die beiden herab stürzen würden. Doch zum Glück geschah nicht dergleichen.
Während die Show auf dem Seil stattfand, bauten ein paar kräftige Männer einen großen Käfig in der Manege auf, denn ein paar Minuten später war der Zirkusdirektor wieder zu sehen. Er bedankte sich für den lauten Applaus für seine Artisten und kündigte nun die gefährlichste Nummer des Abends an, die Bändigung von drei gefährlichen Löwen und einem weißen Tiger.
Kaum hatte er seine Worte ausgesprochen, kamen die vier Raubkatzen herein gestürmt. Sie drehten eine Runde in der Manege, brüllten laut und setzten sich anschließend in der Mitte des Zeltes auf den Boden.
Der Zirkusdirektor nahm eine Peitsche zur Hand und knallte damit laut herum. Dies galt den Tieren als Kommando. Sofort standen sie auf und liefen erneut hin und her.
Ein großer Ring wurde entzündet. Seine Flammen loderten empor. Jedes normale Tier wäre sofort vor Angst geflohen. Doch den drei Löwen schien das nichts auszumachen. Nacheinander sprangen sie hindurch, als würden sie den ganzen Tag nichts anderes machen.
Nun sollte auch der weiße Tiger einen Sprung wagen. Er weigerte sich allerdings. Wild schüttelte er den Kopf, während er langsam knurrend auf den Zirkusdirektor zuging. Er sah unglaublich gefährlich aus. Doch dann legte er sich hin, ließ seinen Bändiger aufsitzen und trug ihn dann langsam auf seinem Rücken aus der Manege.
Der Applaus, der nun folgte, war richtig laut. Das Publikum war begeistert. Alle Menschen standen auf. Gerne hätten sie noch mehr gesehen, doch nun verließen die Tiere langsam das Zelt.
Zum Abschluss kamen drei Männer in die Manege. In ihren Händen hielten sie brennende Fackeln. Die Scheinwerfer erloschen, und nur wenige Augenblicke später schien es, als würden riesige Flammen aus den Mündern der Männer hervor kommen. Waren sie vielleicht mit Drachen verwandt? Aber nein, sie waren lediglich Feuerspucker.
Immer wieder erhellten sie das Zirkuszelt, bis sie schließlich ihre Fackeln in den Mund steckten und das Feuer auf diese Weise löschten.
Während die Zuschauer applaudierten, öffnete sich noch einmal der Bühneneingang. Der Direktor kam auf einem großen Elefanten herein gerieten und bedankte sich für den Applaus. Er wünschte sich allen noch einen schönen Abend und zwinkerte den Kindern freundlich zu.

(c) 2009, Marco Wittler

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