298. Die Tropfsteinhöhle

Die Tropfsteinhöhle

Paul sah durch das Fenster nach draußen. Es schneite ohne Pause mit richtig großen Flocken. Die weiße Decke am Boden, auf den Bäumen und Häusern wurde immer dicker.
»Das ist so ungerecht. Das soll endlich aufhören.«
Mama hatte eigentlich geplant, mit ihren Jungs eine Tropfsteinhöhle zu besichtigen. Das war nun drei Tage her. Aber wegen des Wetters mussten sie die Fahrt immer wieder verschieben.
»Warum muss Schnee auch bloß so glatt sein, dass man schlecht mit dem Auto fahren kann.«
Als Peter das aus dem Mund seines großen Bruders hörte, riss er entsetzt seine Augen auf.
»Wie kannst du so etwas nur sagen, Paul? Wenn der Schnee nicht glatt wäre, könnte ich nicht mit meinem Schlitten die Berge runter sausen.«
Fast hätte er angefangen zu weinen, doch dann schluckte er den dicken Kloß, der in seinem Hals steckte, herunter. Denn noch war der Schnee schön glatt und rutschig.
»Ich will aber auch mal was anderes machen, als ständig nur den Schlitten zu fahren, Schneeballschlachten zu bestreiten und Schneemänner zu bauen.«, beschwerte sich Paul weiter.
In diesem Moment kam Papa von der Arbeit. Er legte seine Tasche ab und zog seine Wintersachen aus.
»Du meine Güte. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie glatt es auf der Straße ist.«, berichtete er aufgeregt.
»Die Stadt hat kaum noch Salz auf Lager und streut deswegen die meisten Straßen nicht mehr. Ich hätte fast einen Unfall gebaut.«
Nun reichte es Paul endgültig. Seine Laune war im Keller angekommen. Wütend rannte er in sein Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu.
»Was ist denn mit dem los?«, fragte Papa erstaunt und ließ sich von Peter alles genau erzählen.

Am nächsten Tag kam Papa wie gewohnt von der Arbeit. Er war auf den wenigen Metern vom Auto bis zur Haustür so eingeschneit worden, dass er fast wie ein Schneemann aussah. Trotzdem zog er seine Wintersachen nicht aus. Stattdessen legte er nur seine Arbeitstasche zur Seite und holte eine Tüte mit Tannenzapfen hervor.
»Was hast du denn damit vor?«, fragten seine beiden Söhne gleichzeitig.
»Das wird eine Überraschung. Ich kann euch jetzt noch nicht mehr verraten.«
Mit der Tüte verschwand Papa auf die Gartenterrasse. Was er dort vor hatte, konnte man nicht sehen, denn Mama ließ sofort die Rollos herunter.
Auf einmal war ein Hämmern und Klopfen zu hören. Kurz darauf rauschte es. Offenbar benutzte Papa den Gartenschlauch.
»Will der bei dem Wetter die Blumen gießen und den Rasen sprengen?«, fragte Paul ungläubig, während Peter nur mit den Schultern zuckte.

Es musste schon eine sehr seltsame und aufwendige Überraschung sein, die Papa sich ausgedacht hatte. Mehrmals hintereinander, drei Tage lang, ließ er den Gartenschlauch laufen und verwunderte seine Söhne immer mehr.
Die Neugierde wurde immer größer. Peter und Paul konnten es beide kaum noch aushalten und dachten sich immer wieder neue Möglichkeiten aus, um hinter das Geheimnis zu kommen. Aber Mama passte zu gut auf die beiden auf.
Erst am vierten Tag war es dann endlich so weit.
»Ich muss nur noch die Lichterkette nach draußen bringen.«, hörten sie Papa rufen.
»Ihr könnt in zehn Minuten nach draußen kommen. Zieht euch schon mal eure Jacken an.«
Paul war plötzlich wie elektrisiert. Er durfte endlich sehen, woran Papa nun schon die ganze Zeit arbeitete.
Peter wurde nun auch ganz nervös. Was würden sie wohl zu sehen bekommen? Ein großes Iglu oder eine Eisskulptur? War es vielleicht etwas ganz anderes?
»Ihr könnt kommen«, war dann auch das lang ersehnte Starkommando.
Peter und Paul liefen los, öffneten die Terrassentür und staunten Bauklötze. Mama hatte schon Angst, dass den Jungs die Augen aus den Köpfen fallen könnten.
»Du meinte Güte. Das glaub ich ja gar nicht.«, stieß Paul hervor.
»Das ist ja eine richtige…«, stammelte Peter.
»Willkommen in unserer eigenen Tropfsteinhöhle.«, sagte Papa stolz und schaltete die bunte Beleuchtung an.
An den Stützbalken hingen riesige Eiszapfen. An manchen Stellen standen sogar welche auf dem Boden. Und nun wurden sie in allen möglichen Farben von den Lichterketten beleuchtet.
»Ich hab mir einfach gesagt, wenn wir nicht zur Höhle fahren können, bringe ich die Tropfsteine einfach zu uns.«
Doch das reichte Paul einfach nicht aus. Er wollte mehr wissen.
»Wie hast du das denn geschafft?«
Papa verschränkte zufrieden die Arme vor seiner Brust und begann zu erklären.
»Ich habe die Tannenzapfen unter der Decke befestigt und sie dann regelmäßig mit Wasser besprüht, damit sich diese riesigen Eiszapfen bilden. Ihr glaubt ja gar nicht, was das für einen Spaß gemacht hat.«
Mit dieser Idee hatte sich Papa wirklich selbst übertroffen.

In den nächsten Tagen wurde es richtig voll in der künstlichen Eishöhle, denn es hatte sich ziemlich schnell herum gesprochen, dass es hier etwas Besonderes zu bestaunen gab.
Doch die Tropfsteine waren nun nicht mehr die einzige Attraktion. Peter und Paul hatten nun auch etwas gebaut. Vor dem Ausgang der Höhle, kurz bevor man in den Garten kam, stand nun ein großer Höhleneisbär.

(c) 2010, Marco Wittler

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