396. Der Wolkenputzer oder „Papa, warum sind die Wolken so grau?“ (Papa erklärt die Welt 37)

Der Wolkenputzer
oder ›Papa, warum sind die Wolken so grau?‹

Sofie saß vor dem Fenster und sah gelangweilt nach draußen. Das Wetter war seit mehreren Wochen schlecht. Die Wolken hingen dunkelgrau am Himmel. Immer wieder fiel strömender Regen auf die Erde hinab. Papa gesellte sich dazu und hielt ihr ein Buch unter die Nase.
»Langeweile?«, fragte er.
Sofie nickte.
»Soll ich dir vielleicht eine Geschichte vorlesen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich wollte doch draußen im Garten spielen. Aber bei dem Wetter geht das einfach nicht.«
Sie schmollte.
»Gegen die dunklen Wolken kann ich leider nichts machen.«, versuchte sich Papa zu entschuldigen.
»Hm.«, machte Sofie.
Sie dachte über die letzten Worte nach, bis sie eine Frage auf den Lippen hatte.
»Papa, warum sind die Wolken eigentlich so grau? Bei gutem Wetter sind sie doch so weiß wie ein Wattebausch.«
Papa kratzte sich am Kinn. Er dachte noch nach.
»Das ist eine sehr gute Frage. Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die ich erst kürzlich gehört habe. Sie handelt zufällig von der Farbe der Wolken. Und die werde ich dir jetzt erzählen.«
Sofie strahlte über das ganze Gesicht.
»Oh ja, eine Geschichte.«
»Und wie fängt eine Geschichte immer an?«, fragte Papa.
Sofie lachte schon voller Vorfreude und antwortete: »Ich weiß es. Sie beginnt mit den Worten ›Es war einmal‹.«
»Ja, das stimmt. Absolut richtig. Also, es war einmal …«

Es war einmal ein kleines Dorf in den weißen Wolken. In ihm lebten ein paar Menschen die den ganzen Tag über nicht viel zu tun hatten. Darum litten sie an großer Langeweile. Manche von ihnen kamen sogar auf ganz dumme Ideen. Da wurde in den Nasen gepopelt oder sich am Po gekratzt. Das war natürlich alles andere als schön und ein guter Grund, sich gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Die Menschen vereinsamten.
Doch eines Tages hatte einer von ihnen, der Martin, eine großartige Idee. Schnell rannte er damit zum Bürgermeister und erklärte diesem, was ihm eingefallen war.
»Wir nehmen uns die ganz kleinen Wolken, bauen einen schnellen Motor in sie ein und veranstalten damit Wettrennen durch den ganzen Himmel.«
»Hm.«, machte der Bügermeister und dachte eine Weile darüber nach.
Er setzte sich in seinen gemütlichsten Sessel und grübelte hin und her, bis er schließlich eine Woche später eine Entscheidung getroffen hatte. Er ließ alle Menschen auf dem Dorfplatz rufen und verkündete ihnen seinen Entschluss.
»Liebe Leute. Von nun an wird sich einiges bei uns ändern. Wir wollen nicht mehr länger gelangweit auf unseren Wolken liegen und darüber nachdenken, was wir tun sollen. Ab sofort werden wir regelmäßig Himmelsrennen veranstalten. Jeder von euch darf daran teilnehmen.«
Der Jubel und die Freude waren natürlich groß und es dauerte nicht lange, bis die ersten Wolkenflitzer fertig waren und durch den Himmel flogen. Fast täglich fanden Rennen statt. Die Zeit der Langeweile war vorbei.
Den Menschen gefiel das sehr gut. Sie setzten sich auf ihre Wolken und gaben sich sehr viel Mühe, schneller als die anderen zu sein. Was sie aber nicht beachteten war ein Problem, mit dem niemand gerechnet hatte. Martin war der erste, der darauf aufmerksam wurde.
»Irgendwie riecht es hier komisch.«, stellte er eines Tages fest, als er sein Haus verließ.
Er atmete tief ein und verfolgte den seltsamen Geruch. Er schien aus keiner bestimmten Richtung zu kommen. Er war überall. Erst nach einer ganzen Weile fiel sein Blick zum Boden.
»Die Wolken schauen auch nicht mehr so schön aus, wie es früher einmal war.«
Tatsächlich war das Schneeweiß einem dunklen Grau gewichen. Die Wolken hatten sich verfärbt.
»Das hat es ja noch nie gegeben. Ich muss sofort etwas unternehmen.«
Martin lief zum Bürgermeister und erzählte, was ihm aufgefallen war.
»Ja, jetzt merke ich es plötzlich auch.«, sagte dieser.
»Was kann das denn nur sein? Wir müssen es unbedingt heraus finden.«
Sie machten sich auf die Suche, aber in keinem Gebäude war etwas zu finden. Erst nach einigen Tagen fiel es ihnen auf.
»Bürgermeister, schau dir das mal an.«
Martin deutete auf den Auspuff eines Wolkenflitzers.
»Da kommt dunkler Rauch heraus. Die Abgase machen unsere Wolken schmutzig.«
Sie hatten die Ursache der Verschmutzung gefunden.
»Aber was machen wir denn jetzt?«
Martin grübelte bereits. Ihm wollte aber keine Lösung einfallen. Die Wolkenrennen konnten sie unmöglich abschaffen. Alle Menschen hatten sich bereits daran gewöhnt und wollten nicht wieder mit der langweiligen Langeweile leben müssen.
»Ich hab da eine Idee.«, sagte der Bürgermeister grinsend.
»Komm doch mal mit mir mit.«
Gemeinsam gingen sie in das kleine Rathaus und suchten dort den Abstellraum des Hausmeisters auf.
»Du hast dir das mit den Wolkenflitzern ausgedacht, mein lieber Martin, also musst du jetzt auch dafür sorgen, dass unsere Wolken wieder schön sauber werden.«
Der Bürgermeister drückte Martin einen Eimer Wasser in die eine Hand und einen Schrubber in die andere.
»Nach jedem Rennen müssen die Wolken wieder schön sauber gemacht werden. Das wird in Zukunft deine Aufgabe sein.«
Martin sah sich seine neuen Arbeitswerkzeuge an.
»In Ordnung.«, sagte er laut seufzend.
»Beim Putzen wird es mir zumindest nicht langweilig.«
Er ging nach draußen und begann sofort mit den Reinigungsarbeiten. Die anderen Wolkenflitzerfahrer wurden darauf natürlich aufmerksam und gesellten sich sofort zu ihm.
»Wir machen die Wolken gemeinsam schmutzig, also werden wir sie auch gemeinsam wieder sauber machen.«
Und schon schwangen sie Schrubber und machten sich an die Arbeit. Ein paar Stunden später erstrahlten die Wolken wieder in ihrer schneeweißen Farbe.

»Wenn sie dann dort oben in den Wolken beim Putzen mal etwas Wasser daneben geht, fällt es als Regen zur Erde herunter.«, beendete Papa seine Geschichte.
»Moment mal.«, protestierte Sofie.
»Hast du mir nicht mal etwas ganz anderes über den Regen erzählt?«
Papa machte ein ganz unschuldiges Gesicht.
»Nein, das kann gar nicht sein.«, entgegnete er grinsend.
Sofie begann zu lachen.
»Das war eine sehr schöne Geschichte, aber ich glaube dir davon kein einziges Wort.«
Sie fiel Papa um den Hals und drückte ihn an sich.
»Weißt du was? Jetzt gehe ich nach draußen und werde das wunderschöne Wetter genießen. Immerhin kommen gerade die ersten Sonnenstrahlen durch die Wolken.«
Sofie stand auf und lief nach draußen in den Garten.

(c) 2012, Marco Wittler

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