405. Ich werde ein Weihnachtsbaum

Ich werde ein Weihnachtsbaum

Endlich. Der lang ersehnte Schnee war gefallen, In den letzten Wochen hatten die Kinder im ganzen Land darauf gehofft, dass pünktlich zum Fest die Erde weiß färben würde. Nun war der Weihnachtsabend gekommen und alles war so, wie es sein sollte. Eines fehlte aber noch. Der Christbaum stand noch nicht in der geschmückten Wohnung.
»Heute ist es so weit.«, freute sich die große Tanne, die seit langer vor dem Haus stand.
»Heute werden sie kommen. Die Menschen holen mich herein, werden mich mit bunten Kugeln, Stohsternen und Lametta schmücken. Bestimmt bekomme ich sogar einen großen, goldenen Stern auf meine Spitze.«
Die Tanne war unglaublich aufgeregt und konnte es kaum noch erwarten.
»Was ist denn los?«, war  plötzlich ein leises Stimmchen zu hören.
»Warum sollten dich die Menschen ins Haus holen und dich schmücken?«
Die Tanne sah sich um und entdeckte unter ihren Ästen ein kleines Blümchen.
»Nanu, ist das nicht die falsche Jahreszeit für Blumen?«
»Eigentlich schon.«, antwortete das kleine Blümchen.
»Aber unter deinen Ästen bin ich vor Wind und Schnee geschützt. Verrätst du mir denn un, warum du dich so freust?«
Die Tanne räusperte sich und begann zu erzählen.
»Ein paar Tage vor Ende eines jeden Jahres feiern die Menschen Weihnachten. Sie schmücken das Haus, kochen leckeres Essen und machen sich gegenseitig Geschenke. Doch das Schönste ist, dass sie jedes Mal einen Baum herein holen. Er wird von oben bis unten festlich geschmückt. Unter seinen Ästen liegen dann die Geschenke. Die Menschen singen dann gemeinsam Lieder, die Kinder tragen Gedichte vor und die Opas lesen Geschichten vor. Das ist sooo schön.«
Das Blümchen verstand und freute sich für die Tanne.
Plötzlich öffnete sich die Tür des Hauses und ein Mann kam heraus.
»Jetzt geht es los,«, flüsterte die Tanne glücklich.
Doch dann blieb der Mann stehen. Er besah sich den Baum und dachte noch einmal nach.
»Nein. Dach geht einfach nicht.«, murmelte er.
»So einen schönen Baum kann ich einfach nicht fällen. Nicht einmal für Weihnachten.«
Er drehte sich um, klopfte sich den Schnee von seinen Schuhen und ging zurück ins Haus.
Die Tanne war verwirrt. Das durfte einfach nicht wahr sein. Zu schön für Weihnachten? Niemals.
»Hallo?« Du kommst sofort wieder heraus und fällst mich.«, rief sie dem Menschen hinterher.
»So schön bin ich doch gar nicht. Einer meiner Äste hat sogar einen Knick. Außerdem freue ich mich schon mein ganzes Leben auf Weihnachten. Bring deine Axt mit und hol mich ins Haus.«
Aber es half alles nichts. Sie blieb, wo sie war.
Doch dann öffnete sich ein weiteres Mal die Tür. Der Mann kam mit seiner ganzen Familie nach draußen. Sie sangen Weihnachtslieder und brachten große Kisten mit.
»Los, schmückt den Baum.«, rief die Mutter und verteilte bunte Kugeln, Stohsterne und Lametta an ihre Kinder. Im Nu war aus der Tanne ein stattlicher Weihnachtsbaum geworden. Die Feier fand nun draußen unter freiem Himmel statt.
Von überall, aus allen Richtungen, kamen noch mehr Menschen heran und freuten sich über dieses ungewöhnliche Fest im weißen Schnee.
Die größte Freude hatte allerdings die Tanne. Sie war nicht nur ein normaler Weihnachtsbaum in irgendeiner Stube. Sie stand draußen und konnte alle Menschen der Stadt mit ihrem Glanz erfreuen, und das machte sie sehr stolz.

(c) 2012, Marco Wittler

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