544. Die Kastanienmännchen

Die Kastanienmännchen

Mitten auf dem Nieringser Weg in Deilinghofen stand einmal ein großer Kastanienbaum. In jedem Herbst, fanden sich unter ihrer breiten Krone die Kinder des Dorfes zusammen, um Kastanien zum Basteln  und Spielen zu sammeln. Eines dieser Kinder war Lilly.
Lilli war mit einer großen Tasche gekommen, um ganz viele Kastanien mit nach Hause nehmen zu können. Er, als sie die Tasche kaum noch tragen konnte, machte sie sich auf den Weg nach Hause.
»Damit bastel ich ganz viele kleine Kastanienmännchen und Kastanientiere. Die stelle ich dann auf meine Fensterbank und schaue sie mir den ganzen Tag an.«
Und so geschah es dann auch. Mit Mamas Hilfe sortierte sie die Kastanien auf dem Küchentisch. Zusammen bohrten sie vorsichtig Löcher, drückten Zahnstocher hinein und befestigten alles mit einigen Tropfen Klebern.
So entstand eine ganze Kastanienfamilie mit einem Vater, einer Mutter und drei kleinen Kindern. Dazu noch einen Hund und eine Katze.
Damit es der kleinen Familie später auf Lillys Fensterbank nicht langweilig werden würde, entstanden noch ein paar Tiere für einen Zoobesuch. Darunter waren ein Affe, eine Giraffe, ein Löwe, ein Elefant, ein Bär und eine Schlange, die aus den ganz kleinen Kastanien gebastelt war.
Am Abend, kurz vor dem Schlafen, stellte Lilly ihre Figuren vor das Fenster. Dann ließ sie sich noch eine Geschichte von Mama vorlesen und verschwand kurz danach im Land der Träume.
Am nächsten Morgen wollte Lilly schon vor dem Frühstück mit ihren Kastanien spielen. Aber die Fensterbank war komplett leer. Nicht eine einzige Figur war mehr da.
Stattdessen lag dort ein kleiner Brief, den sie nur mit einer Lupe lesen konnte. Im Brief stand:

Liebe Lilly.
Vielen Dank, dass du mich, meine Familie und die vielen Tiere gebastelt hast. Schon am Baum wussten wir, dass wir mehr sein könnten, als einfache Kastanien. Aber wir brauchten dich und deine Ideen, um zu dem zu werden, was wir jetzt sind.
Sei bitte nicht traurig, dass wir nicht mehr da sind, denn wir träumen schon lang von einem Leben auf einem eigenen Bauernhof. Deswegen haben wir uns auf den Weg gemacht, ein eigenes Zuhause zu finden.
Wir werden dich nie vergessen.
Deine Kastanienfamilie.

Echte, lebendige Kastanienfiguren? Damit hätte Lilly nie gerechnet. Auf der einen Seite war sie nun traurig, dass ihre kleinen Spielzeuge fort waren. Aber sie war auch stolz auf sich, dass sie ihren Kastanien zu etwas ganz Besonderem gemacht hatte.

(c) 2016, Marco Wittler

2 Kommentare

  1. Ich habe das Motto des Kommentier-Sonntages umgedeutet in „Kommentiere Blogs, auf die du dich sonst nicht traust“ 🙂

    Ich finde die Idee sehr schön – man merkt, dass die Geschichte zum Anregen der Fantasie gedacht ist, sie ist sehr langsam erzählt. Tatsächlich mehr zum Träumen. Ich fand das gut. Umso plötzlicher fand ich die Wendung und die Botschaft „Wir wollen mehr sein“ – sie hat etwas Gutes getan, aber das hat nicht ausgereicht. Ich finde das schade.

    Interessanterweise machen wir Erwachsenen das mit manchen Menschen auch: Wir genießen ihre Zuneigung, sammeln Selbstbewusstsein – und ziehen weiter. Das ist nicht immer einfach.

    PS: Lilly oder Lilli? 🙂

  2. So viele Menschen müssten wissen, dass in ihnen mehr steckt als nur die Kastanie selbst. Andererseits hat jede Kastanie auch ihre Bedeutung für den Baum, den Wald, das Ökosystem und wird gebraucht – so wie sie ist.
    Möge jeder seines Glückes Schmied sein.

    Fussige Grüsse, Jana

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