644. Spuren im Garten

Spuren im Garten

Es war früh am Morgen, als die Sonne hinter dem Horizont aufging und die Erde in ein warmes Licht tauchte. Als der erste Sonnenstrahl in das Kinderzimmer fiel, wachte Dominic auf. Er gähnte laut, reckte und streckte sich, bevor er langsam unter seiner Bettdecke hervor kroch.
Wie an jedem Morgen sah er zuerst nach draußen. Er wollte wissen, wie das Wetter war. Doch heute achtete er nicht auf Wolken, Sonnenschein oder Regentropfen. Heute wurde sein Blick sofort von etwas anderem, das er noch nie gesehen hatte, wie magisch angezogen.
»Du meine Güte.«, flüsterte er zu sich selbst. »Sowas hab ich noch nie gesehen.«
Mitten im Garten war ein Fußabdruck zu sehen. Es war nicht nur irgendein Fußabdruck. Er war riesig – so riesig, dass Dominic sich locker hätte hinein legen können.
Sofort zog er an und wollte nach draußen laufen. Doch da hörte er eine Stimme aus seinem Bett.
»Nimm mich mit. Nimm mich doch bitte mit. Ich will das auch sehen.«
Dominic schlug sich sanft vor die Stirn. »Ohje, fast hätte ich dich vergessen.«
Er kramte unter der Decke herum, bis er seinen kleinen Plüschtiger fand.
»Du kommst natürlich mit in den Garten.«
Er steckte den Tiger in die Tasche seines Pullis und lief los. Mit schnellen Schritten war er die Treppe hinunter gelaufen und stand wenige Augenblicke später im Garten, mitten in dem unglaublich großen Fußabdruck.
Dominic wollte wissen, wie groß er war. Also machte er weite Schritte von der einen bis zur anderen Seite.
»Puh, das sind ja mindestens drei Meter. Niemand hat so riesige Füße. Da kann doch nur ein Scherz sein.«
»Vielleicht ist es kein Scherz.«, murmelte der Tiger in der Tasche. »Schau dich doch mal in den Nachbarsgärten nach.«
Und tatsächlich. Überall waren diese Fußspuren.
»Wir müssen sofort rausfinden, was hier passiert ist.«
Dominic machte sich auf den Weg und kletterte über sämtliche Zäune der Nachbarschaft. Den Verursacher konnte er nirgendwo entdecken. Es dauerte eine halbe Stunde, bis er schließlich vor einer großen, verlassenen Fabrikhalle stand. Die Spuren führten eindeutig hinein.
»Ob wir da drin etwas finden?«
Neugierig versuchte er einen Blick durch die schmutzigen Fenster zu werfen. Aber seine Beine waren dafür zu kurz. Er konnte nichts sehen.
»Ich bin zu klein.«
Er holte seinen Tiger aus der Tasche und hielt ihn nach oben.
»Schau du doch mal rein.«
Der Plüschtiger bekam große Augen.
»Du meine Güte. Das glaubst du nicht. Das musst du dir unbedingt anschauen. Und danach sollten wir ganz schnell und ganz leise von hier veschwinden.«
Dominic verzog das Gesicht.
»Wie denn? Ich kann doch nicht. Was ist denn nun da drin?«
Der Tiger schüttelte seinen Kopf. »Das glaubst du mir eh nicht, wenn du es nicht selbst siehst.«
Verzweifelt sah sich Dominic um und entdeckte eine kleine Kiste. Diese holte er sich herbei, platzierte sie unter dem Fenster und stieg darauf. Schon kam er mit seinem Kopf hoch genug, um durch das Fenster in das Innere des Gebäudes zu schauen.
»Du meine Güte!«, flüsterte er leise. »Da drin sind …«
Ein Quietschen ertönte, während sich neben Dominic eine Tür öffnete. Ein großer, grüner Kopf kam zum Vorschein und sah den Jungen an.
»Hast du dich verlaufen? Kinder haben auf einem Fabrikgelände nichts verloren. Hier könnte dir etwas zustoßen.«
Dominic schluckte. »Du bist ein … ein …«
Ihm stockte der Atem. Er bekam kein weiteres Wort heraus.
«… ein Dinosaurier. Ja, ich weiß.«, beendete der große, grüne Kopf den unfertigen Satz.
»Ist mir heute Morgen beim Zähneputzen auch aufgefallen, als ich einen Blick in den Spiegel riskiert habe.«
Der Dino grinste.
»Verrat es aber bitte niemandem. Die Menschen sollen ruhig weiter denken, dass wir ausgestorben sind. Wenn sie erfahren, dass es immer noch welche von uns gibt, stecken sie uns bestimmt in Zoos und sperren uns ein. Das wollen wir unbedingt vermeiden.«
»Wir?«, fragte Dominic ungläubig. »Es gibt noch mehr als nur dich?«
Der Dino nickte. »Komm halt mal mit rein. Wir feiern gerade meinen Geburtstag. Ich schmeiß eine riesen Party mit meinen ganzen Freunden.«
Dominic stieg langsam von seiner Kiste und warf einen Blick durch den Türspalt. Im Innern der großen Fabrikhalle erspäte er mindestens zwanzig unterschiedliche Dinosaurier. Manche tranken ein Faß Punsch, andere aßen gerade die größten Hamburger, die es je auf der Erde gegeben hatte und wieder andere tanzten so wild umher, dass der Boden bebte.
»Ist ja irre. So was cooles habe ich noch nie gesehen.«
Der Dino grinste. »Wenn du versprichst, dass du niemandem was verraten wirst, darfst du mit uns feiern.«
Das ließ sich Dominic natürlich kein zweites Mal sagen. Er gab sofort sein Versprechen und stürmte dann, mit seinem Tiger in der Hand, in die Halle und freundete sich mit jedem einzelnen Dinosaurier an. Es wurde der aufregendste Tag seines Lebens.

(c) 2017, Marco Wittler

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