Ich und die Diebesbande
Die Nacht war schon ein paar Stunden alt. Nicht nur hier drinnen, sondern auch draußen war es stockdunkel. Kein einziger Lichtschein war zu sehen, denn der Wolken verhangene Himmel schirmte sowohl Mond als auch Sterne ab. Dazu regnete es ohne Pause. Die perfekte Nacht für einen perfekten, tiefen Schlaf in meinem Pappkarton.
Pappkarton?
Ja, du hast genau richtig gelesen. Ich lag in einem gemütlichen Pappkarton, wie es alle Katzen gern machen, denn auch bei mir handelt es sich um eine solche. Um ganz präzise zu sein, sollte ich erwähnen, dass ich ein Kater mit Namen Manni bin.
Ich bin hier in unserer WG das Oberhaupt. Wenn es nach mir ginge, wäre ich hier allein und würde das Leben genießen. Aber irgendwie haben sich dann doch ein paar Mitbewohner eingeschlichen, die mir so manches Mal auf die Nerven gehen.
Da wären zum Beispiel zwei Zweibeiner, der Mann und die Frau.
Daneben auch noch ein paar Artgenossen. Lord Schweinenase, von dem mittlerweile ausgegangen werden muss, dass er mein Zwillingsbruder ist. Allerdings haben wir wenig bis gar nichts gemeinsam. Während ich die Vollendung eines schönen Katers bin, ist er ein dürrer Kerl, der wahrscheinlich von jedem Windhauch umgeblasen wird. Dazu kommt noch, dass ich sämtliche Intelligenz unserer Familie in mir vereine, während er nicht ganz so viel davon abbekommen hat.
Dann ist da noch der Bengale, eine Rassekater, der nur wenig mit dem ihm namensgebenden Wildtier zu tun hat. Er ist ein Angsthase, wie er im Buche steht. Sein Lieblingsplatz ist unter dem Bett. Dort fühlt er sich sicher.
Zum Schluss ist dann da noch die Mini-Mietze. Sie hat zwar ein schiefes Bein, ist aber in unserer Gemeinschaft die Aktivste. Wenn man sie nicht bremst, rast sie rund um die Uhr durch die Wohnung oder springt wie ein Flummi umher.
Der Herr im Hause bin allerdings immer noch ich. Hier tanzt jeder nach meiner Pfeife.
Und damit kommen wir auch zum zentralen Punkt meines Berichts zurück – zu mir.
Ich lag also in meinem Pappkarton im Wohnzimmer und befand mich seit einigen Stunden im Tiefschlaf, als mich ein Geräusch weckte.
»Da … da ist was.«, hörte ich die zittrige Stimme des Bengalen. »Irgendwer ist hier in die Wohnung eingedrungen. Wir müssen uns verstecken, sonst werden wir sterben.«
Schon gab er Gas und verschwand unter dem Bett.
Hm. Eindringlinge? Hier. Konnte gar nicht sein. Die Türen waren fest verschlossen und die hyperaktive Mini-Mietze würden jeden Verbrecher sofort mit ihren Krallen in die Flucht schlagen.
Trotzdem befiel auch mich ein unruhiges Gefühl. Ich bequemte mich also aus meinem Karton hoch, buckelte einmal kräftig meinen Rücken, streckte mich und schlich dann durch die Wohnung.
»Soll das etwa ein Schleichen darstellen?«, hörte ich ein Flüstern neben mir.
Ich blieb stehen und sah zur Seite. Lord Schweinenase, wer auch sonst.
»Was ist an meinem Schleichen nicht in Ordnung?«, fragte ich zurück.
Lord Schweinenase zeigte mit einer seiner vier Pfoten auf meine.
»Du machst Geräusche. Bei jedem Schritt hört man deine Krallen auf dem Laminatboden. Du solltest sie einziehen.«
Ich schüttelte den Kopf. So ein Blödsinn. Ich war der beste Anschleicher, den es in der weiten Katzenwelt gab. Ich setzte also meinen Weg fort und hörte zeitgleich ein Geräusch unter mir.
Verdammt. Es waren tatsächlich meine Krallen. Irgendwie war mir das bisher noch nie aufgefallen. Dann ertönten fremde Krallen auf dem Boden. Lord Schweinenase war nicht wesentlich leiser als ich. Aber ihm fehlte es auch an Hirnschmalz, um schleichen zu können.
»Na los, Bruder. Schauen wir uns um.«
Wir gaben das Schleichen auf und nahmen die Wohnung nun genauer unter die Lupe. Wenn sich hier jemand unbefugt befand, würden wir ihn finden.
Küche – Fehlanzeige.
Wohnzimmer – nichts.
Schlafzimmer – keine Menschenseele, wenn man Mann und Frau ignorierte.
Auch das Bad war leer.
Zuletzt sahen wir uns in der Vorratskammer um. Da traf es mich wie ein Schlag.
Die Dose mit meinen persönlichen Leckerlis lag am Boden, ihr Deckel daneben. Nach und nach setzten sich die einzelnen Gaumenschmeichler wie von Geisterhand in Bewegung.
Während ich noch über diese Unmöglichkeit nachdachte, hob Lord Schweinenase seine Pfote und schlug zu.
Es knackte zwei Mal. Zum einen zerbrach ein Leckerli, zum anderen der Panzer einer Ameise, die sich darunter befunden hatte.
»Hä?«, machte der Lord. »Leckerlis mit Beinen?«
»Ach komm schon, Bruder. Das sind Insekten. Die beklauen uns.«
»Beklauen?«, kam nun eine kleine Stimme vom Boden.
Eine weitere Ameise hatte ihre Beute abgelegt und stellte sich uns in den Weg.
»Wir holen nur Futternachschub aus unserer Speisekammer. Alles, was hier drin ist gehört uns, denn wir haben sie entdeckt.«
Ich räusperte mich. Dann beugte ich mich etwas hinab.
»Hör mal, Kleiner.«, begann ich. »Ihr macht hier einen ziemlich großen Fehler. Was ihr hier klaut, ist sehr schädlich für eure Gesundheit. Schaut mich an. Das Zeug macht unnötig dick und träge. Ihr würdet nicht mehr durch eure kleinen Gänge im Ameisenbau kriechen können.«
Ich zeigte mit der Pfote auf den Kater neben mir.
»Das ist Lord Schweinenase. Er ist dumm wie ein Brot. Auch eine Nebenwirkung eurer Beute. Wollt ihr das wirklich riskieren?«
Wie zum Beweis, zog mein Bruder seine Nase über den Boden und erfreute sich an seiner dreckigen Nase.
»Schau mal, ein Fussel. Wie cool ist das denn? Sowas habt ihr nicht. Hihihi!«
Ich schüttelte nur den Kopf. Dann sah ich mich schnell um.
»Macht lieber die Gummibärchentüte da hinten leer. Die Dinger sind nahrhaft, gesund und das Beste, das ihr findet könnt.«
Die Ameisen dachten kurz nach, besprachen sich und legten schließlich meine Leckerlis ab. Dann stürzten sie sich auf die Gummibären und trugen sie fort.
Zufrieden trotteten wir zurück ins Wohnzimmer, wo schon die Mini-Mietze auf uns wartete.
»Gesunde Gummibärchen?«, fragte sie mit einem Augenzwinkern.
Ich grinste verschwörerisch, als ich ihr antwortete.
»Ich freue mich jetzt schon auf das verwirrte Gesicht der fetten Ameisen, wenn sie in den Gängen ihres Baus feststecken.
(c) 2020, Marco Wittler
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