809. Wunschwackelzähne

Wunschwackelzähne

Emilia stand im Bad vor dem Spiegel und betrachtete schon seit einer ganzen Weile ihren weit aufgerissenen Mund. Dabei bewegte sie ihren Kopf hin und her, damit sie jeden dunklen Winkel sehen konnte.
Immer wieder steckte sie einen ihrer Zeigefinger in den Mund, legte ihn nacheinander auf die einzelnen Zähne und versuchte, diese zu bewegen. Irgendwann fand sie, wonach sie die ganze Zeit gesucht hatte.
»Ha!«, rief Emilia laut. »Endlich wackelt einer. Jetzt gehöre ich auch zu den großen Mädchen.«
Sie verließ das Bad und lief die Treppe hinunter in die Küche.
»Mama! Ich habe einen Wackelzahn. Schau mal hier!«
Emilia riss den Mund auf und präsentierte Mama ihren spektakulären Fund. Sie tippte mit dem Zeigefinger auf den Zahn und wackelte ihn hin und her.
Mama sah genau hin und nickte schließlich.
»Fein. Wenn er draußen ist, kannst du ihn abends unter dein Kopfkissen legen. Die Zahnfee nimmt ihn dann mit und legt dir dafür einen Taler hin.«
Emilia verzog angewidert das Gesicht.
»Igitt! Was will denn eine fremde Frau mit meinem gebrauchten Zahn. Das ist doch eklig. Sowas mache ich nicht mit. Außerdem werde ich bestimmt wach, wenn die an meinem Kopfkissen rumzuppelt. Ne, ne, ne.«
Mama wusste erst gar nicht, was sie darauf antworten sollte.
»Aber was willst du dann mit dem Zahn anfangen?«
Emilia grinste.
»Mia hat mir erzählt, dass sie ihre Wackelzähne in ein buntes Tuch einwickelt und sich dann etwas wünscht. Das soll echt funktionieren.«

Einen Tag später war es dann auch so weit. Emilia hielt stolz ihren Wackelzahn in der Hand.
»Und wie funktioniert das jetzt?«, fragte Mama, die mit ihrer Tochter an einem kleinen Tisch im Kinderzimmer saß.
Statt etwas zu sagen, hob Emilia kurz den Zeigefinger. Dann breitete sie ein buntes Taschentuch auf dem Tisch aus, legte den Zahn in dessen Mitte und faltete das Tuch ein paar Mal.
»Jetzt nur noch drei Mal pusten.«
Sowohl Emilia als auch Mama pusteten vorsichtig. Feiner Glitzerstaub, der vorher noch nicht da gewesen war, stieg vom Taschentuch auf, verharrte ein paar Sekunden in der Luft, bis er um sich selbst herum wirbelte. Emilia schloss ihre Augen und dachte an ihren Wunsch. Dann verschwand der Glitzerstaub, als hätte es ihn nie gegeben.
Neugierig faltete Mama das Taschentuch auseinander, um nach dem Zahn zu schauen. Dieser war aber verschwunden.
»Was hast du dir denn gewünscht?«, wollte sie wissen.
Emilia grinste.
»Ich habe mir einen zauberhaften Augenblick mit dir und einer Hand voll Feenstaub gewünscht. Ich hab dir ja gesagt, dass das funktioniert. Ich freue mich jetzt schon auf meinen nächsten Wackelzahn.«

(c) 2020, Marco Wittler

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