Ich eroberte die Mietzenfestung
So ein Mittagsschläfchen ist eine wirklich tolle Sache. Man futtert sich etwas, putzt sich die Pfoten und verzieht sich für ein paar Stündchen auf dem Kratzbaum, um dort ein Nickerchen zu machen.
Moment mal. Du fragst dich wirklich gerade, warum jemand auf einem Kratzbaum schläft? Nun, die Antwort ist so einfach wie simpel. Ich bin ein stattlicher Kater, der auf den Namen Manni hört. Kater schlafen halt gern auf Kratzbäumen. Das liegt in unserer Natur.
Ich bin mir aber sicher, dass es dir nicht darum geht, wo ich meinen Schönheitsschlaf abhalte, sondern, was ich dir spannendes aus meinem Leben berichten kann. Also gehen wir noch einmal einen Schritt zurück.
Ich hatte also einen Schönheitsschlaf auf meinem Kratzbaum abgehalten. Das war mein tägliches Ritual, dass ich seit Jahren nicht ein einziges Mal ausgelassen hatte.
Irgendwann am Nachmittag wurde ich wieder wach, streckte mich, buckelte meinen Rücken, gähnte laut und sah mich um. Es hatte sich etwas unter meinem Schlafplatz verändert. Das war nicht mehr das Wohnzimmer, dass ich kannte.
Auf der einen Seite des Raums standen plötzlich Pappkartons. In mehreren Reihen waren sie aufeinander gestapelt. Das Ganze wirkte wie eine uneinnehmbare Festung. Lediglich ein kleines Loch in der Pappwand schien dafür gemacht zu sein, jemanden hindurch zu lassen.
Ich wunderte mich doch sehr. So lange hatte ich doch gar nicht geschlafen, oder vielleicht doch?
Neugierig kletterte ich nach unten und trottete auf das neue Bauwerk zu. Ich schnupperte an allen Seiten, konnte aber auf diese Weise nichts über die Festung in Erfahrung bringen. Ich musste wohl oder übel den einzigen Eingang nehmen.
Mit erhobenem Kopf näherte ich mich dem Loch, setzte die erste Pfote hinein und bekam sofort einen schmerzhaften Hieb mit spitzen Krallen ab.
Erschrocken zog ich die Pfote zurück. Wer auch immer im Innern saß, war ziemlich wehrhaft und hatte etwas gegen unerwarteten Besuch.
Ich begann über meine eigenen Gedanken nachzudenken. Was, wenn mein Eindringen in die Festung gar nicht unerwartet war, wenn man genau wusste, dass ich meine Neugier kaum in Zaum halten konnte?
Mehr und mehr kam ich zu der Überzeugung, dass dieses Bauwerk aus Pappe nur aus einem Grund hier stand. Man wollte mich provozieren, mich aus der Reserve locken und sich dann tapfer und erfolgreich gegen mich verteidigen. Nur so konnte es sein.
Ich sah hinauf zur Brüstung und erblickte ein Gesicht. Es war Lord Schweinenase, mein Bruder, der ständig irgendwelchen Dreck auf der Nase kleben hatte und nicht gerade mit hoher Intelligenz gesegnet war.
Neben ihm tauchte ein weiterer Kater auf. Es war der Bengale, der größte Angsthase, den ich in meinem Leben kennengelernt hatte. Man musste ihn nur ansehen, dann begann er sofort zu zittern. In dieser Festung schien er sich allerdings mehr als sicher zu fühlen. Ich hatte den Eindruck, zum ersten Mal ein angedeutetes Grinsen bei ihm entdeckt zu haben.
Diese beiden Kater waren für mich keine Herausforderung. Ich war mir sicher, sie mit Links fertig machen zu können. Sollten sie ruhig ihre Krallen ausfahren. Ich hatte meine eigenen stets dabei.
Ein weiteres Mal versuchte ich mich am Durchgang. Ein weiteres Mal bekam ich die spitzen Krallen zu spüren. Es ging so schnell, dass ich überhaupt keine Chance hatte, überhaupt an eine Gegenwehr zu denken. Das musste böse Magie im Spiel sein. Hatten die Beiden etwa irgendwo einen gegen mich wirksamen Zauberspruch gefunden, den sie nun anwendeten?
Ich überlegte, wie ich die Festung erobern, die beiden Tölpel überrumpeln konnte. Dabei kam mir die geniale Idee, jemanden für mich kämpfen zu lassen. Ich suchte sofort nach der Mini-Mietze, der vierten Katze in meiner WG. Sie war aber nirgendwo zu finden. Seltsam. Also musste ein anderes Bauernopfer her.
Ich schlich mich in das Spielzimmer des Mannes, einem Menschen, den ich mit seiner Frau bei uns wohnen ließ. Mitleid war schon immer meine größte Stärke.
Im Spielzimmer fand ich etwas, das niemand besiegen konnte: Eine hochmoderne Robomietze zum Aufziehen.
Ich schnappte sie mir, drehte den Schlüssel in ihrem Rücken mehrmals um und schickte sie in den Krieg.
Mit festen Schritten lief sie der Festung entgegen, trat durch den Eingang und … wurde schon beim ersten Angriff komplett zerstört.
Nein! Das konnte nicht wahr sein. Das wollte ich einfach nicht glauben. Niemand konnte die Robomietze zerstören. Das war ein Ding der Unmöglichkeit. Welches grausame Monster befand sich da bei den beiden Katern hinter den Pappkartons?
Ein kleiner Kopf schob sie nun ein Stück nach draußen. Es war die Mini-Mietze. Ich konnte es nicht glauben. Mit allem hatte ich gerechnet, aber nicht, dass sie mit den Katern gemeinsame Sache machte.
Gegen die Mini-Mietze hatte natürlich niemand eine Chance. Das war völlig ausgeschlossen. Ihrer Wildheit war nicht nicht beizukommen. Ich konnte nur noch aufgeben und meine meine heile Haut retten.
»Ihr habt gewonnen.«, raunzte ich den anderen zu und verzog mich zurück auf meinen Kratzbaum. Der Tag war eh für mich gelaufen.
(c) 2020, Marco Wittler
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