Ich bezwang den Unruhestifter
Amüsiert sah ich von meinem Logenplatz auf dem Schrank zu, wie die Frau in der frisch gewaschenen Wäsche einen falschen Gegenstand nach dem anderen heraus fischte.
Da waren ein kleiner Ball, ihr Schlüsselbund, einige Münzen, die stark verbogene Brille des Mannes und noch mehr.
Moment mal, magst du jetzt vielleicht einwerfen wollen. Wer sitzt schon oben auf einem Schrank und beobachtet andere Menschen?
Nun, lass es mich mal so erklären: Ein Mensch klettert natürlich in der Regel nicht auf einen Schrank und verbringt dort seine Zeit. Der Unterschied ist, dass ich eben kein Mensch war, sondern ein stattlicher Kater mit Namen Manni. Ich bin der Herr in einer großen WG, in der unter anderem der Mann und die Frau leben. Zum Rest der nervigen Bande komme ich vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt.
Ich lag also auf dem Schrank und sah zu, wie ein irrtümlich gewaschener Gegenstand nach dem anderen zu Tage gefördert wurde.
Die Frau wunderte sich sehr. All diese Sachen gehörten nicht in die Waschmaschine. Trotzdem waren sie hinein gelangt. Das war doch alles andere als normal.
Verärgert nahm sie sich nach dem Wäschekorb die Wäschetonne vor, in der alles gesammelt wurde, was noch gewaschen werden sollte.
Ja, ja. Ich weiß es selbst. Da waren viel zu viele Wörter in einem Satz, die mit Waschen zu tun haben. Aber ich bin auch nur ein Kater, kein Deutschlehrer. Außerdem geht es in diesem Bericht um ein Verbrechen, dass ich noch als solches wahrnehmen musste. Bis zum jetzigen Zeitpunkt fand ich das alles noch sehr amüsant. Kehren wir also zum Tatort zurück.
Die Frau wandte sich, wie ich bereits erwähnt hatte, der Wäschetonne zu, öffnete den Deckel und zog ein Kleidungsstück nach dem anderen heraus. Dabei fielen ihr tatsächlich mehrere Dinge in die Hand, die dort drin nichts zu suchen hatten. Darunter befanden sich unter anderen ein Stück Seife, ein Deoroller, eine Spielzeugmaus, die ich schon eine ganze Weile schmerzlich vermisste und, warum auch immer, ein gekochtes Ei, das bunt bemalt war.
So langsam wurde die Frau richtig sauer. Ich für meinen Teil wurde aufmerksam und begann, über diese seltsame Situation nachzudenken.
Wer war so verwegen, so dreist, alle möglichen Gegenstände in der Wäsche zu versenken und damit in Kauf zu nehmen, dass die Waschmaschine irreparabel geschädigt wurde?
Schnell schaltete sich mein kriminalistisch geschulter Geist ein, spielte diverse Szenarien durch. Unter anderem sah ich vor meinem Inneren Auge ein paar verbrecherische Mäuse, die heimlich in der Nacht einen Kran aufbauten, sich Dinge damit schnappten und dann in die Wäsche fallen ließen.
Ein Motiv für diese Tat? War doch klar: Langeweile.
Ich schüttelte den Kopf. Nein. Das war völlig absurd. Meiner ersten, durchaus fantasievollen Eingebung würde selbst der Mann nicht zustimmen.
An dieser Stelle muss ich kurz unterbrechen und einwerfen, dass der Mann meine rechte Hand war, der Assistent, ohne den ein erfolgreicher Ermittler niemals so knifflige Fälle lösen konnte. Er wäre der Watson in meinem Team gewesen, wäre ich als Sherlock Holmes zur Welt gekommen. Aber da ich nunmal nur der Manni war, nannten wir uns Mann und Manni.
Zurück zu meiner Vermutung. Wie ich bereits erwähnte, hätte der Mann meiner Theorie mit den gelangweilten Mäusen und dem Kran niemals zugestimmt. Mäuse hatten keine Langeweile. Aber die Sache mit dem Kran behielt ich weiter im Hinterkopf. Man wusste ja nie.
Nun, nachdem ich schon einiges an kriminalistischer Vorarbeit geleistet hatte, kam auch endlich besagter Mann zur Frau und wunderte sich ebenfalls darüber, was hier geschehen war. Er warf mir einen verschwörerischen Blick zu. Ich wusste natürlich sofort, was er mir damit sagen wollte: Nachtschicht! Observierung des Tatorts in der Dunkelheit nach Sonnenuntergang. Wir wussten schließlich beide nur zu gut, dass Täter oft den Ort ihres Verbrechens ein weiteres Mal aufsuchen würden.
Die Nacht kam schnell. Mann und Frau gingen wie üblich ins Bett, während ich mich auf die oberste Etage des Kratzbaums zurückzog. Dort rollte ich mich ein und schloss die Augen.
Wer ich bereits gut genug kennt, kann sich denken, was ich wirklich vorhatte.
Statt zu schlafen, behielt ich meine Augen natürlich einen kleinen Schlitz weit auf und beobachtete das Wohnzimmer. Ein leises, tappsendes Geräusch verriet mir, dass der Mann sich aus dem Schlafzimmer schlich, nachdem die Frau eingeschlafen war. Er setzte sich wortlos auf neben das Sofa auf den Boden und verschmolz regelrecht mit dem Hintergrund. Er war fast nicht mehr zu sehen. Dass auch er nun alles im Auge behielt, war unumstritten. Ich hatte mich immer auf ihn verlassen können.
Die Zeit verging schleppend, die Nacht war langweilig. Es passierte absolut nichts. Irgendwann drang lediglich ein Schnarchen an mein Ohr. Der Mann war eingeschlafen. Also alles wie immer.
Irgendwann wurde es draußen wieder hell. Der neue Tag brach an. Während der Mann mit am Sofa angelehntem Kopf seinen Bauch voll sabberte, hatte ich mir die letzten Stunden völlig umsonst um die Ohren geschlagen. Es war zum aus der Haut fahren.
Langsam wurden nun auch die anderen Mitglieder meiner WG wach. Der erste, der sich regte, war mein Bruder. Lord Schweinenase, wie wir ihn wegen des ständigen Schmutzes an seinem Riechkolben nannten, rollte sich auf die andere Seite, blinzelte, gähnte und stand schließlich auf. Er verließ seinen Schlafplatz und trottete ins Bad.
Nichts Besonderes. Das machten wir alle. Dort stand das Katzenklo.
Ich konzentrierte mich also weiter auf die Umgebung unter mir. Wenn nicht jetzt, wann sollte ich den Täter überführen?
Plötzlich hörte ich ein Geräusch aus dem Bad. Etwas fiel zu Boden. War der Täter jetzt dort zu Gange? War er so dreist, dass er sogar im Beisein meines nicht gerade intelligenten Bruders sein Verbrechen begang?
Ich kletterte schnell von meinem Beobachtungsposten zu Boden, rannte zum Tatort und traute meinen Augen nicht.
Im Regal über der Wäschetonne saß Lord Schweinenase und beförderte alles, was dort lag, in die Dreckwäsche.
Er war es. Er war der Täter. Unglaublich.
»Was soll das werden? Warum machst du das?«, fragte ich ihn verwirrt.
Spielen! Das war tatsächlich seine Antwort. Nicht mehr, nicht weniger. Dieses eine Wort.
»Du hast doch einen Vogel!«, zischte ich ihn an.
Ich hob drohend eine meiner Pfoten und blitzte ihn böse an. Diese Geste verstand er nur zu gut. Er wollte auf keinen Fall meine Krallen in seinem Hintern spüren.
Lord Schweinenase gab Fersengeld, sprang vom Regal und verschwand im Wohnzimmer. Dabei fiel eine Klorolle in die Wäsche.
Verdammt! Jetzt musste ich mich auch noch um die Unordnung kümmern. Ich sprang auf das Regal, sah mir das Maleur an.
Hm. Warum nur? Ich wurde einfach nicht schlau aus diesem Verhalten.
Versuchsweise, natürlich nur, um das Motiv meines Bruders verstehen zu können, schob ich vorsichtig mit meiner Pfote eine Flasche Parfum vom Regal.
Mich durchfuhr plötzlich nie gekanntes Gefühl der Glückseligkeit. Es machte tatsächlich riesigen Spaß, Gegenstände nach unten zu werfen. Ich musste damit weiter unbedingt machen.
Als nächstes wanderte ein goldener Ring über den Abgrund. Ich bekam eine Gänsehaut.
Und dann stand die Frau vor mir. Mit eiskaltem Blick fixierte sie mich eine Sekunde lang, bis sie nach dem Mann rief. Für sie war klar, dass ich hinter der Tat der letzten Tage steckte. Für sie hatte ich die Wäsche mit Gegenständen bereichert.
Verdammt! Lord Schweinenase kam mal wieder ungeschoren davon, während ich für ihn gerade stehen musste.
Aber dafür würde ich mich rächen. Ganz bestimmt.
(c) 2020, Marco Wittler
Bild: OpenClipart-Vectors auf Pixabay
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