881. Ich, die Wurst und der schwarze Schatten (Mann und Manni 29)

Ich, die Wurst und der schwarze Schatten

Wir waren wieder unterwegs. Mit dem großen Wohnmobil hatte unsere WG einen Campingplatz am Meer erreicht.
Ja, okay, es war nicht wirklich das Meer, sonder nur ein See, aber als erfolgreicher Ermittler, der ich war, hatte ich natürlich meine Hausaufgaben gemacht und meinen Bericht der Dramaturgie des Augenblicks angepasst.
Wir vier Mietzen saßen nun schon seit einigen Stunden vor unserem Vehikel und sahen uns den traumhaften Sonnenuntergang an.
Wir waren wie die Orgelpfeifen aufgereiht. Direkt neben dem Wohnmobil saß meine Wenigkeit, Manni der erfolgreiche Ermittler zahlreicher Kriminalfälle. Neben mir hatte mein Bruder Lord Schweinenase Platz genommen. Seinen Namen verdankte er dem Umstand, dass er ständig Futterreste auf seiner Nase spazieren trug.
An der Seite des Lords saß der Bengale, der eigentlich rund um die Uhr am ganzen Leib zitterte. Er hatte vor so ziemlich allem Angst.
Die Kleinste in der Reihe war die hyperaktive Mini-Mietze, die sich mit allem anlegte, was größer war als sie.
Es hatte seinen Grund, dass ich den Sitzplatz direkt am Eingang unserer fahrbaren Unterkunft genommen hatte. So konnte ich schneller als alle anderen zum Katzenklo oder dem Fressnapf laufen. Aber meiner Verdauung ging es in diesem Moment auf beiden Seiten sehr gut.
Und dann sah ich in meinem Augenwinkel einen dunklen Schatten, der sich sich am Wohnmobil entlang bewegte.
Sofort löste sich meine Aufmerksamkeit vom Sonnenuntergang. Ich wirbelte herum, nahm alles in Augenschein. Da war nichts. Gar nichts.
Konnten mir meine Augen einen Streich gespielt haben? Oder was war hier los? Ich war mir wirklich nicht sicher. Ich klopfte den anderen Mietzen auf die Schultern. Mit Handzeichen gab ich ihnen lautlos zu verstehen, etwas gesehen zu haben. Jeder bekam Anweisungen, wie er nun mit der Situation umzugehen hatte.
Lord Schweinenase und ich bewegten uns auf lautlosen Pfoten zum Eingang, nahmen alles genauestens unter die Lupe.
Die Mini-Mietze sollte auf mein Kommando warten um notfalls einzugreifen.
Der Begale … nun ja, er sollte sich einfach im Hintergrund halten. Angsthasen waren bei kriminalistischen Ermittlungen wenig hilfreich.
Wir schlichen uns also zur Tür, sprangen die kleinen Stufen hinauf und betraten den Innenraum. Zentimeter für Zentimeter durchkämmten wir das Wohnmobil. Aber egal, wohin wir unsere Blicke lenkten, wir entdeckten niemanden.
Schon wollte ich die suche abbrechen, schob den Schatten auf meine lebhafte Fantasie, als mir doch noch etwas auffiel.
Auf der Küchenzeile hatte noch eine halbe Stunde zuvor eine Salami gelegen, die ich mir als Nachtmahl hatte können wollen. Nun war sich verschwunden.
An diesem Punkt wurde die Sache für mich persönlich. Jetzt wollte ich unbedingt den Schatten zur Strecke bringen.
Kurz sah ich zu Lord Schweinenase. Er wusste sofort, welchen Gedanken ich hatte. Er schüttelte den Kopf. Er hatte sich also nicht an meiner Salami vergriffen. Die Mini-Mietze und den Begalen konnte ich auch ausschließen. Sie waren mir treu ergeben und würden niemals jemandem aus der WG schaden.
Während ich noch überlegte, wer der Dieb hätte sein können, jagte wieder dieser Schatten an mir vorbei. Dieses Mal sah ich ihn deutlicher und erkannte in ihm einen schwarzen Kater. In seinem Maul schaffte er die Wurst aus dem Wohnmobil.
»Schnappt ihn euch!«, rief ich laut und stürmte raus.
Noch bevor meine Pfoten den Rasen draußen berührten, war der Täter schon von der fauchenden Mini-Mietze umzingelt. Die rannte so schnell um den Schwarzen herum, dass er nicht weiter flüchten konnte.
Traurig sah mich der Dieb an und legte die Wurst langsam auf den Boden. Erst jetzt fiel mir auf, dass er völlig ausgemergelt war. Er musste großen Hunger haben. So einen abgemagerten Kater hatte ich noch nie gesehen.
Ich gab der Mini-Mietze ein Zeichen. Sie blieb stehen und ging ein paar Schritte zurück.
»Nimm die Wurst. Du hast sie nötiger als irgendwer sonst.«
Völlig ungläubig, aber unendlich dankbar, nahm der Schwarze die Wurst und verschwand im nächsten Busch.
Die nächsten Abende, die wir noch am Meer verbrachten, versorgten wir unseren neuen Freund und sahen ihm dabei zu, wie er täglich gesünder und fitter wurde.

(c) 2020, Marco Wittler


Bild von OpenClipart-Vectors auf Pixabay

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