Das Böse sitzt im Schrank
Fiete saß auf dem Bett, traute sich nicht, sich zu bewegen. Die Geräusche, die er alle paar Sekunden hörte, ängstigten ihn zu sehr.
Seit einer halben Stunde hörte er immer wieder ein Kratzen, dann ein Stöhnen und ein teuflisches Kichern.
Nur zu gern wollte Fiete schreien, weglaufen, sich in die schützenden Arme von Mama werfen. Stattdessen zitterte er am ganzen Körper. Er konnte nicht einmal mehr um Hilfe rufen.
Er hörte genau, woher die Geräusche kamen. Irgendwas war da in seinem Wandschrank, etwas Gefährliches.
Das Böse?
Fietes Schwester hatte erst am Tag zuvor davon erzählt. Das Böse, etwas das nicht greifbar, nicht sichtbar, nicht erklärbar, dafür aber umso gefährlicher, vielleicht sogar tödlicher war.
Es wartet darin auf mich, dachte sich Fiete. Es weiß, dass ich irgendwann die Tür öffnen muss, um mir meinen Schlafanzug heraus zu holen. Dann wird es sich auf mich stürzen.
Fiete nahm seinen ganzen Mut zusammen und rief doch noch um Hilfe.
»Mama!«, kam es flüsternd aus seiner Kehle, viel zu leise, um gehört zu werden.
Fiete hielt es nicht mehr aus. Entweder das Böse oder er. Dieses Warten auf den Moment, der irgendwann kommen musste, war unerträglich.
Er schluckte, wischte sich den Schweiß von der Stirn und bewaffnete sich mit dem ersten Gegenstand, den er ingreifbarer Nähe fand. Fiete hielt einen Turnschuh in der rechten Hand.
Er stand auf, schlich sich zum Schrank, packte den Griff und öffnete die Tür.
»Komm raus und zeig dich!«, rief er zitternd. »Ich habe keine Angst vor dir. Ich werde dich besiegen.«
Fiete sah nichts. Der Schrank war, bis auf seine Klamotten, leer. Er schob die Kleiderbügel nach links und nach rechts, bis er ein Loch in der Rückwand entdeckte, durch das seine Schwester von ihrem Wandschrank aus zu ihm herüber sah.
»Endlich! Ich warte schon eine halbe Stunde darauf, dass du mich entdeckst. Ich hab uns ein Loch gebohrt. Dann können wir heimlich miteinander quatschen, wenn wir abends ins Bett müssen. Coole Idee, findest du nicht auch?«
Fiete atmete auf. Er war in Sicherheit.
»Blöde Ziege.«, maulte er. »Wie gut, dass ich ein mutiger Junge bin. Jedem anderen hättest du mit deinen Geräuschen Angst eingejagt.«
(c) 2020, Marco Wittler
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