913. Im Keller wartet das Böse

Im Keller wartet das Böse

Bring mal eben den Kartoffelsack in den Keller, hatte Mama zu mir gesagt. Da ist doch gar nichts dabei.
Pah! Sie hatte mir genau angesehen, dass ich nicht dort runter gehen wollte. Sie wusste ganz genau, dass mir der Keller Angst machte. Trotzdem schickte sie mich nun die Treppe hinab, weil niemand anderes im Haus war, der das hätte erledigen können.
Normalerweise hatte ich das Glück, dass Papa mir diese Aufgabe abnahm, aber der musste heute Überstunden schieben.
Ich hatte also den schweren Sack mit den Kartoffeln auf dem Arm und stand zitternd vor der obersten Stufe.
Ich setzte meine Fracht ab, sah mich unsicher um, blickte immer wieder in die Dunkelheit des Kellers.
Ich konnte das nicht. Alles in mir widerstrebte dem Gang hinab. Ich ahnte – nein – ich wusste, dass dort unten das Böse lauerte und nur auf mich wartete.
Es würde mich gefangen nehmen, fressen, töten oder was auch immer. Ich wusste es nicht, wollte es aber auch nicht herausfinden.
Nein, mich sollten keine zehn Pferde dazu bringen, in den Keller zu gehen.
»Was stehst du hier noch rum?«, meckerte plötzlich Mama hinter mir.
Ich zuckte zusammen und erschrak.
»Ich … ähm …«
»Bring endlich die Kartoffeln in den Keller. So schwer wird das doch wohl nicht sein. Es wird dich schon niemand auffressen.«
Pah! Wenn die nur wüsste. Sie hatte ja gar keine Ahnung. Obwohl? Vielleicht steckte sie mit dem Bösen unter einer Decke. War sie die heimliche Komplizin und sollte nur dafür sorgen, dass ich wirklich in den Keller ging?
Ich überlegte, dachte nach. Wo war eigentlich mein großer Bruder? Sollte der nicht schon längst von der Schule heimgekehrt sein? Ich hatte ihn aber seit dem Frühstück nicht mehr gesehen. Hatte er etwa auch in den Keller gehen müssen?
»Jetzt geh endlich!«, rief Mama aus der Küche. Ihr Tonfall wurde immer genervter.
Ich schluckte meine Angst runter, nahm den Sack wieder auf die Arme und ging Schritt für Schritt in den Keller hinab.
Plötzlich sprang etwas auf mich zu, riss sein Maul auf und warf mir seine schreckliche Zunge entgegen.
»Hilfe!«, brüllte ich panisch, ließ den Sack fallen und rannte zurück ins Erdgeschoss. »Das Böse will mich fressen.«
Oben angekommen, versteckte ich mich hinter Mamas Jacke, die an der Garderobe hing und warf einen ängstlichen Blick zum Keller, aus dem das Böse nun herauf kam.
Ich sah es sofort, wie es die letzten Stufen nahm und sich suchend nach mir umschaute.
Es war Emma, unsere Dackelhündin, die schwanzwedelnd auf mich zugelaufen kam.
Puh! Glück gehabt. Was hatte die mir für einen fürchterlichen Schrecken eingejagt.
»Sind die Kartoffeln jetzt endlich im Keller?«, rief Mama.
Ich warf einen vorsichtigen Blick nach unten und sah den Sack am Fuß der Treppe liegen.
»Nichts leichter als das.«, antwortete ich grinsend. »Hab ich mit Links gemacht. War auch gar nicht so schlimm.«

(c) 2020, Marco Wittler

Bild: Clker-Free-Vector-Images auf Pixabay

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