984. Ein Vampir hat Durst oder „Papa, warum mögen Vampire keinen Knoblauch?“ (Papa erklärt die Welt 48)

Ein Vampir hat Durst oder
»Papa, warum mögen Vampire keinen Knoblauch?«

Sofie stand in der Küche und sah Papa zu, wie er gerade die Zutaten für eine Bolognesesoße klein schnitt.
»Darf ich auch mal etwas zerschneiden?«
Papa schüttelte den Kopf. »Das Messer ist wirklich sehr scharf. Ich möchte nicht, dass du dich daran verletzt. Aber du darfst die Spaghetti in der Mitte durchbrechen und am Ende alles auf den Tellern anrichten. Ist das in Ordnung für dich?«
Sofie nickte und sah zu, wie Papa den Knoblauch mit der Presse zerdrückte. Ein kräftiger Duft machte sich in der Küche breit und brachte Sofie zum Nachdenken.
»Papa, warum mögen Vampire keinen Knoblauch
Papa kratzte sich am Kinn und überlegte.
»Das ist eine sehr gute Frage.«, antwortete er schließlich. »Dazu fällt mir eine Geschichte ein, die ich erst kürzlich gehört habe. Sie handelt zufällig von einem Vampir, der Knoblauch scheut. Die werde ich dir jetzt erzählen.«
Sofie strahlte über das ganze Gesicht.
»Oh ja, eine Geschichte.«
»Und wie fängt eine Geschichte immer an?«, fragte Papa.
Sofie lachte schon voller Vorfreude und antwortete: »Ich weiß es. Sie beginnt mit den Worten ›Es war einmal‹.«
»Ja, das stimmt. Absolut richtig. Also, es war einmal …«

Es war einmal im fernen Transsylvanien ein Vampir, der von seinem großen Durst auf Blut geweckt wurde. Zunächst drehte er sich unruhig in seinem verschlossenen Sarg hin und her, bis er nach einer Weile wach wurde und laut gähnte. Er schob den Deckel seines Sargs zur Seite, erhob sich und streckte die müden Knochen aus.
»Warum müssen wir Vampire eigentlich in diesen engen Särgen schlafen?«, fragte er sich jedes Mal aufs Neue. »Das ist so ungemütlich und mir tut abends immer alles weh.«
Er bewegte seinen Kopf zur Seite, dass die Knochen im Hals laut knackten. Dann ging er zum Kleiderschrank, holte seinen Mantel daraus hervor und wollte sich auf den Weg in das nahe Dorf machen, als sein Magen laut knurrte.
»Verdammt. Das hat mir gerade noch gefehlt. Ich habe Hunger. Mit leerem Magen kann ich nicht nach draußen gehen. Ich könnte einen Schwächeanfall bekommen und umfallen. Ich muss vorher noch etwas essen.«
Der Vampir machte sich auf den Weg in die Küche und sah sich um. Vom Vortag stand noch ein Kochtopf im Kühlschrank. Er hatte Spaghetti Bolognese gegessen.
»Resteessen. Besser als nichts.«
Er nahm sich einen Teller voll, speiste ausgiebig und machte sich dann auf den Weg ins Dorf.
Sein schwarzer Mantel verschwand beinahe in der Dunkelheit. Niemand sah ihn die Straßen entlang gehen. Niemand bemerkte ihn, als er an den ersten Häusern vorbei schritt.
»Schau mal einer an, da oben steht ein Fenster auf. Da hat wohl jemand nicht aufgepasst. Das könnte ein lebensgefährlicher Fehler sein.«
Der Vampir verwandelte sich in eine Fledermaus, flatterte durch da Fenster und nahm im Zimmer seine ursprüngliche Gestalt wieder an. Vor ihm lag eine junge Frau in ihrem Bett und schlief tief und fest.
»Perfekt. Eine holde Jungfrau. Deren Blut schmeckt mir immer noch besonders gut.«
Der Vampir schlich heran, näherte sich dem Hals der Jungfrau und öffnete seinen Mund. Seine langen, spitzen Zähne blitzten im Mondlicht kurz auf, dann schlug sein Opfer plötzlich die Augen auf.
»Was stinkt denn hier?«, war sie verwirrt und entdeckte den Vampir. Sie sprang aus dem Bett, schnappte sich ihren Regenschirm und jagte ihn mit kräftigen Schlägen zum Fenster hinaus.
»Verdammter Mist. Ich hätte keinen Knoblauch in die Soße geben sollen. Das passiert mir nie wieder.«
Der Vampir lief zurück nach Hause und legte sich durstig in seinen Sarg.

»Und deswegen mögen Vampire keinen Knoblauch?«, fragte Sofie ungläubig.
Papa nickte. »D
er Gestank verscheucht halt ihre Opfer Seit diesen Tagen kochen Vampire nur noch ohne Knoblauch
»Das war eine sehr schöne Geschichte.«, sagte Sofie.
Papa war zufrieden als er das hörte. Doch dann fiel seiner Tochter noch etwas ein.
»Aber ich glaube dir trotzdem kein einziges Wort davon.«
Sofie griff zum Spaghettilöffel und schaufelte sich die erste Portion auf ihren Teller. Das Essen war mittlerweile fertig.

(c) 2021, Marco Wittler


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