993. Eine Fahrt mit dem Roller

Eine Fahrt mit dem Roller

Endlich Frühling. Endlich wieder Sonnenschein und warme Temperaturen. Das war der perfekte Tag, um den Nachmittag draußen zu verbringen.
Papa hatte zwei Tretroller in den Kofferraum gepackt und war mit seinem Sohn Ben an den nächsten Stausee gefahren. Dort gab es einen gut asphaltierten Gehweg, auf dem sie sich die Zeit vertreiben konnten.
Es ging quer durch den Wald, von einem kleinen Ort in den nächsten und auch ein Stück neben der Straße her. Es kamen ihnen viele Spaziergänger entgegen und sie wurden von einigen Radfahrern überholt. Jedes Mal grüßten sie die anderen freundlich.
Mussten Ben und Papa mal jemanden überholen, riefen sie schon von Weitem und machten auf sich aufmerksam. Lächelnd machte man ihnen Platz, während die Beiden langsam und vorsichtig an den Passanten vorbei fuhren.
Ben und Papa hatten viel Spaß, lachten oft und blieben immer wieder stehen, um sich über die ersten Blüten des Frühlings zu freuen und die Wasservögel auf dem See zu beobachten.
»Achtung!«, rief Ben wieder einmal. »Hier kommen zwei Roller. Wir würden gerne links überholen.«
Das ältere Ehepaar vor ihnen blieb stehen. Der Mann machte einen Schritt nach links und sah die beiden Rollerfahrer grimmig an.
»Das hier ist ein Gehweg. Der ist nur für Fußgänger gedacht. Ihr habt hier nichts verloren.«
Er sah, dass nicht nur Ben auf einem Roller fuhr, sondern auch Papa, der bereits ein Erwachsener war. Der Mann begann hämisch und böse zu grinsen.
»Und ihnen würde es gut zu Gesicht stehen, sich nicht wie ein Siebenjähriger zu verhalten.«
Papas Lächeln verschwand augenblicklich. »Wollen sie mich beleidigen?«, fragte er in einem ruhigen Tonfall.
Der alte Mann nickte. »Ja, verdammt nochmal. Genau das will ich. Sie verhalten sich wie ein Kind, wie ein Siebenjähriger. Und jetzt verschwinden sie vom Gehweg. Hier gehören keine Roller hin.«
Papa holte tief Luft und rollte kurz mit den Augen. »Tut mir leid, aber laut Straßenverkehrsordnung sind Roller ein Spielzeug oder auch ein Sportgerät, die im Straßenverkehr wie Fußgänger behandelt werden müssen. Da Fußgänger sich nur auf Gehwegen bewegen dürfen, müssen Roller diesen ebenfalls benutzen.«
Der Alte begann vor Wut zu schäumen und bekam einen knallroten Kopf. »Das müssen sie mir erstmal beweisen. Ich rufe jetzt die Polizei.«
Schon zog er sein Handy aus der Tasche und wollte die 110 eintippen, als Ben ihn grinsend anblickte.
»Es tut mir wirklich leid, dass sie wohl schon vor langer Zeit vergessen haben, wie man einfach mal Spaß am Leben hat. Mein Papa hat noch sehr viel Spaß. Das ist auch der Grund, warum wir so viel miteinander unternehmen. In ihm steckt tatsächlich noch ein Kind, und ich hoffe, dass das auch noch ganz lange so bleibt. Das hält nämlich jung.«
Langsam fuhr Ben an dem Mann vorbei und winkte Papa hinter sich her. »Vielleicht entdecken sie ja auch noch irgendwann, dass sich in ihnen ein kleiner Junge versteckt hält. Das wünsche ich ihnen von ganzem Herzen.«
Dem Alten blieb die Spucke weg. Er wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Stattdessen sah er den beiden Rollerfahrern nur wortlos hinterher, bis er erneut hinter sich eine Stimme rufen hörte.
»Platz da! Hier komme ich!«
Es war ein weiterer Rollerfahrer. Doch dieses Mal handelte es sich nicht um ein Kind, sondern um einen Mann der ebenfalls schon recht alt war.

(c) 2021, Marco Wittler


Image by mohamed Hassan from Pixabay

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