1602. Der Mucki-Frosch hat den längeren Atem

Der Mucki-Frosch hat den längeren Atem

Der Präsident lief in seinem Büro nervös auf und ab. Immer wieder wechselte sein Blick von der verschlossenen Tür zur Uhr an der Wand, zurück zur Tür und auf seine Armbanduhr. Die Zeit drängte. Eigentlich war es sogar schon viel zu spät.
»Verdammt, verdammt! Wo bleibt er nur?«
Viele Gedanken gingen dem Präsidenten durch den Kopf. Er hatte diesen Abend minutiös geplant. Die Gäste, die wichtigsten politischen Persönlichkeiten, die aus aller Welt angereist waren, waren bereits erschienen und warteten im nahen Saal. Vermutlich machte sich bereits eine gewisse Ungeduld breit.
Es klopfte. Der Präsident zuckte zusammen und fuhr herum. »Herein!« Die Tür öffnete sich, seine persönliche Assistentin trat ein, während sie ununterbrochen auf ihrem Handy Nachrichten schrieb und offensichtlich nach einer Lösung suchte. »Und? Ist er endlich da? Wir können nicht ohne ihn beginnen.«
Hoffnung keimte in seinen Augen auf, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Als wäre er vom Erdboden verschluckt. Niemand kann ihn finden oder auch nur erreichen. Das ist eine Katastrophe.«

Der Präsident nickte. »Ich sehe schon die internationalen Verwicklungen vor mir. Das ist ein gefundenes Fressen für die anwesende Presse. Das ist der Zeitpunkt, an dem nur noch ein Superheld helfen kann.«
Die Assistentin blickte von ihrem Smartphone auf. »Sie meinen jemanden wie Batman, Superman, Chuck Norris oder vielleicht sogar …« Ihre Augen begannen begeistert zu glänzen. »… Spiderman? Wollen sie mir damit sagen, dass es diese Helden wirklich gibt?«
Der Präsident ließ kurz den Kopf sinken und schüttelte ihn. »Wenn es nur so einfach wäre. Aber das sind alles nur Comicfiguren und Leinwandhelden. Die können uns in dieser Situation nicht helfen. Was wir jetzt brauchen, ist ein Held mit ganz dicken Muckis.«
»Der unglaubliche Hulk?«
»Nein. Wir brauchen jemanden mit echten, mit stahlharten Muckis. Wir rufen den Mucki-Frosch.«
Er eilte um seinen Schreibtisch herum und griff zum Hörer eines alten, kabelgebundenen Telefons, das nur über einen einzigen Knopf verfügte. »Ich hatte gehofft, dass es nicht dazu kommen müsste, aber mir bleibt keine andere Wahl. Ich muss es tun.« Dann drückte er den Knopf. Quälende langsam vergingen die Sekunden, während es im Hörer zu tuten begann.

In einem geheimen Versteck, dass sich an einem weit entfernten Ort befand, von dessen genauer Position nicht einmal der Präsident Kenntnis hatte, klingelte ein Telefon. Eine kräftige, grüne Hand, die am Ende eines noch kräftigeren, grünen Arm hing, hob einen Telefonhörer ab.
»Mr. President?« Der Angerufene musste nicht nachfragen. Auf dieser Leitung konnte sich sonst niemand anderes melden. »Werden wir von Aliens angegriffen? Wurde jemand Wichtiges entführt oder ist die ganze Welt in Gefahr? Wie kann ich ihnen helfen?«
Der Präsident wartete nicht mit langen Erklärungen auf. Er erklärte in wenigen Sätzen und Worten, was geschehen war. »Mucki-Frosch, es ist nicht vermeidbar. Ich brauche sie, sonst wird das Treffen mit meinen internationalen Kollegen und Partnern in einer Katastrophe enden.«
»Ich mache mich auf den Weg.« Der Mucki-Frosch spannte seine Muskeln an, die sein blau und weiß gestreiftes Shirt, dass sich unter seiner roten Latzhose befand, fast platzen ließen. Er legte auf und drückte nun selbst auf einen Knopf.
Eine Alarmsirene ertönte. Ein großes Bücherregal, das eine ganze Wand des Raumes bis zur Decke einnahm, schwang herum. Das gut getarnte Tor gab den Weg zu einem riesigen Hangar frei. In dessen stand ein Fluggleiter bereit.
»Ich komme schon, Boss.«
An einer langen, glatten Metallstange rutschte soeben ein Storch herab. Kaum war er am Boden angekommen, sprintete er auf den Gleiter zu, ließ sich in den Pilotensitz fallen und setzte sich seine Pilotenbrille auf. Der Mucki-Frosch nahm neben ihm Platz. »Zehn Sekunden bis zum Start.«
»Es muss schnell gehen. Der Präsident vermisst einen Gast, ohne den sein Treffen nicht beginnen kann. Er ist bereits eine ganze Weile hinter seinem Zeitplan. Wenn wir nicht eingreifen, endet alles in einem Desaster.«
»Fünf Sekunden.«
Über dem Hangar öffneten sich die Decke, Wasser strömte für ein paar Sekunden herein. Dann hob der Gleiter des Superhelden ab. Er stieg aus der Mitte eines kleinen Teiches empor, der sich mitten im Nirgendwo befand und damit das perfekte Versteck darstellte.
»Machen wir uns auf den Weg und retten wir ein weiteres Mal die Welt.«

Der Präsident atmete schwer. Er hatte mittlerweile sein Büro verlassen und ging nun vor dem großen Versammlungssaal auf und ab. Seit seinem Anruf waren weitere fünfzehn Minuten vergangen.
»Wo bleibt nur der Mucki-Frosch. Ich hoffe er hat unseren Gast gefunden. Es wird Zeit. Ich kann mir gut vorstellen, dass manch Botschafter ungeduldig wird.«
Eine breite Tür am Ende des Ganges wurde aufgestoßen und aus ihren Angeln gerissen. Der Mucki-Frosch kam mit großen Sprüngen herein. Als er vor dem Präsidenten landete, krachte der Boden. Das Parkett brach ein. Der Boden sackte ab. »Tut mir Leid um die Schäden, aber ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte.«
Der Präsident warf einen unsicheren Blick hinter den Superhelden, wo er nur den Storch entdeckte, der bereits die angerichteten Schäden mit ein paar Fotos dokumentierte, um sie später der Versicherung zu melden. »Wo ist mein Gast? Ich dachte, ihr hättet euch gekümmert.«
Der Mucki-Frosch schüttelte den Kopf. »Er ist indisponiert. Das bedeutet, er kann heute nicht mehr hier erscheinen. Wir sind natürlich sofort zum Hotel geflogen, haben ihn dort auf der Toilette gefunden. Das war für beide Seiten ein unangenehmer Moment. Er leidet unter schwerem Durchfall und kommt nicht mehr aus dem Bad raus. Da er sein Handy auf dem Nachttisch vergessen hat, war es auch nicht möglich, ihn zu erreichen.«
Der Präsident riss entsetzt die Augen auf. »Aber was mache ich denn jetzt? Das ist eine Katastrophe.«
Der Mucki-Frosch legte ihm eine Hand auf die Brust und lächelte. »Keine Sorge. Ich werde jetzt hinter die Bühne gehen und seine Aufgabe übernehmen. Ich bin mir sicher, dass ich der Richtige dafür bin. Vertrauen sie mir einfach.«
Der Präsident sah sich verzweifelt im Gang um, immer noch in der Hoffnung, dass sein Gast auftauchen würde. Doch dann nickte er. »Ist in Ordnung.«
Der Mucki-Frosch sprang los und betrat den Saal durch eine kleine, versteckte Tür. Der Präsident schloss die Augen, holte noch einmal tief Luft, drückte die Klinke und trat in den Saal.
Die geladenen Gäste, die gerade noch in unzählige Gespräche vertieft waren, verstummten und drehten sich zu ihm um. Im selben Moment öffnete sich
auf der Bühne am anderen Ende des Saal ein Vorhang. Ein Scheinwerfer flammt auf, unter dem der Mucki-Frosch stand. Er griff zu einem Saxophon, dass neben ihm auf einem Gestell stand, hob es an die Lippen und begann zu spielen. Neben seinen superstarken Muskeln besaß er eine Lunge, die ihresgleichen suchte. Die geladenen Gäste stimmten sofort mit ein und sangen zur altbekannten Melodie.
»Happy birthday, Mr. President, happy birthday to you.
Der Präsident lächelte und warf dem Mucki-Frosch einen dankbaren Blick zu. Seine Geburtstagsfeier war gerettet.

(c) 2024, Marco Wittler

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