1012. Flaschenpostbote Knut taucht ab (Flaschenpostbote Knut 06)

Flaschenpostbote Knut taucht ab

Knut zog sich die blaue Jacke über, strich die Ärmel glatt und sah sich prüfend im Spiegel an. Etwas fehlte da noch. Ach, ja. Die passende Schirmmütze gehörte unbedingt auf den Kopf. Er legte den breiten Ledergürtel und seine große, schwere Tasche um. Zuletzt rückte er das Schild mit der Aufschrift FLASCHENPOST auf der Brust zurecht und nickte endlich. Er war fertig und konnte in den Tag starten.

Der Meermann, verließ er sein Haus und schwamm los. Die Flaschenpost musste ausgeteilt werden. Sein Weg führte ihn wie immer zuerst zur nahen Grundschule, wo die Kinder am Zaun schon auf ihn warteten.
»Knut!«, stürmten sie laut rufend auf ihn zu. »Kannst du uns eines deiner verrückten Erlebnisse erzählen?«
Knut strich sich seinen Schnurrbart zurecht, dachte kurz nach und begann zu grinsen.
»Mir fällt da etwas ein. Ich Ich war neulich an einem Ort, an dem man sich nicht aufhalten sollte, an dem das eigene Leben an einem seidenen Faden hängt. Ich befand mich in den Gefilden der Tiefsee. Davon werde ich euch berichten.«
Auf dem Schulhof wurde es mucksfischchenstill, als Knut zu erzählen begann.

Knut, seines Zeichens Flaschenpostbote, öffnete seine lederne Umhängetasche und holte die letzte Flaschenpost des Tages heraus. Diese musste er nur noch in den vor ihm stehenden Briefkasten legen. Im Anschluss konnte er nach Hause schwimmen und Feierabend machen. Endlich.
Plötzlich kam ganz unerwartet eine starke Strömung auf ,riss Knut die Flasche aus den Händen und trieb sie fort.
»Nein! Verdammt! Bleibst du wohl hier.« Aber die vielen Flüche halfen nichts. Die Flasche wollte einfach nicht hören.
Knut schwamm ihr also hinterher und stoppte nach ein paar Metern. Am Ende der Straße überquerte die Flaschenpost eine Leitplanke und versank in einem tiefen Graben, dessen Boden so tief lag, dass man ihn nicht sehen konnte.
»Beim Neptun!«
Knut erschrak. Das da unten war die berüchtigte Tiefsee. Niemand tauchte dort hinab. Es gab Gerüchte, dass es dort Monster gab, die Meerjungfrauen und Meermänner fraßen. Niemand, der sich hinab getraut hatte, war jemals zurückgekehrt.
Knut wollte bereits umdrehen, kam aber nicht vom Fleck. Seine Flaschenpostbotenehre hinderte ihn daran.
»Ich kann die Flaschenpost nicht hier lassen. Ich muss sie ausliefern, solang ich ein Flaschenpostbote bin.«
Knut drehte das Schild auf seiner Brust gerade, dass ihn als Flaschenpostboten auszeichnete und zog seine Schirmmütze fest auf den Kopf. Dann überquerte auch er die Leitplanke und ließ sich nach unten sinken.
Schnell verstummten die Geräusche der Umgebung. Es wurde so still, dass es kaum auszuhalten war. Mit jedem Meter Tiefe wurde es auch dunkler, bis Knut seine Hand vor Augen nicht mehr erkennen konnte. Es wurde dunkler als die Nacht.
»Au!« Knut stieß sich die Flosse. Er hatte den Tiefseegrund erreicht. »Was mache ich denn jetzt? Ich kann gar nichts sehen. Wie soll ich die Flaschenpost nur finden?«
Verzweifelt tastete er mit den Händen blind um Kreis. Bis auf Sand und ein paar Steinen konnte er nichts finden.
Plötzlich flammte ein Licht auf. Ein großer, hässlicher Fisch mit riesigen Zähnen tauchte aus der Dunkelheit auf. An seinem Kopf hing eine Laterne, die alles erleuchtete.
»Jetzt solltest du besser klar kommen, mein Freund.«
Knut begann zu zittern, brachte nur ein gestottertes Danke hervor. Da sah er auch schon seine Flaschenpost, ergriff sie und verstaute sie schnell in seiner Umhängetasche.
»Wirst du mich jetzt fressen?«
Der Fisch betrachtete Knut von oben bis unten und begann, laut zu lachen.
»Großer Neptun, nein. An euch Meermenschen ist doch gar nicht genug dran, dass ich satt würde. Außerdem habt ihr immer so einen grässlichen Nachgeschmack, den man über Stunden kaum los wird.« Er grinste und zwinkerte.
Knut bekam Panik. Hatte der Andere einen Scherz gemacht oder meinte er das wirklich ernst? Egal. Er gab mit seiner Schwanzflosse kräftig Gas und tauchte wieder auf. Endlich konnte er die Flaschenpost zustellen und Feierabend machen.
Was für ein verrückter Arbeitstag.

Die Kinder der Grundschule sahen Knut mit großen Augen an. So viele große Wale auf einem Haufen hatten sie selbst noch nie gesehen.
»Ihr könnt mir glauben, alles was ich erlebt habe, ist wahr. In der Tiefsee gibt es viele Gefahren und noch viel mehr seltsame Geschöpfe. Das ist kein Ort, an dem man sich aufhalten sollte.«
Knut winkte noch einmal zum Abschied, machte sich wieder auf den Weg und verteilte die restliche Flaschenpost.

(c) 2021, Marco Wittler

Bild: Nik Karlov auf Pixabay

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