1066. Die Gerichtsverhandlung

Die Gerichtsverhandlung

Während der Tag zum Abend wurde und dieser langsam zur Nacht, wurde der Himmel immer dunkler und die Sonne machte Platz für den Mond. Dessen fahles Licht erhellte die Erde nur sehr spärlich. Als es dann zur Geisterstunde schlug, füllte sich der sonst so leere Dachboden der alten Burg auf dem Hügel mit Leben. Nun ja, von Leben zu berichten, ist wohl nicht ganz richtig, denn es tauchten dutzende Geister auf. Also füllte sich der Dachboden mit Tod.
Am einen Ende fand sich das interessierte Publikum wieder, am anderen der ehrenwerte Richter. Dieser wurde vom Vampir verkörpert, der sich extra die Mühe gemacht hatte, aus dem fernen Kellerverlies nach oben zu kommen.
Mit einem schweren Holzkammer schlug er auf den Tisch vor sich. Sofort kehrte Ruhe ein. Alle Gespräche verstummten. Man hätte in diesem Augenblick eine Stecknadel fallen hören können.
»Das Gericht ist heute Nacht zusammen gekommen, um das Urteil über den kleinen Geist zu fällen.«, begann der Vampir seine Rede. »Er hat sich in den letzten Wochen und Monaten vieler Dinge schuldig gemacht. Nun liegt es an uns, die Anschuldigungen und Beweise vorzutragen, um ein Urteil zu fällen, dass allen hier im Saal gerecht wird.«
Der Angeklagte wurde herein geführt. Er musste auf der Strafbank Platz nehmen und zuhören, was über ihn gesprochen wurde.
Nach und nach wurden Zeugen an das Richterpult gebeten. Sie berichteten, was der kleine Geist alles angestellt hatte. Da war die Rede vom unkontrollierten Herumspucken, dass er Menschen erschreckt hatte und immer wieder dreiste Streiche gespielt hatte.
»Diese Anschuldigungen wiegen sehr schwer.«, beendete der Richter irgendwann die Anhörung. »Kleiner Geist, möchtest du dich dazu noch äußern oder dich verteidigen?«
Der kleine Geist schüttelte den Kopf. »Nein. Vielen Dank. Alles ist genau so geschehen, wie es die Zeugen berichtet haben.«
Der Vampir nickte, schloss die Augen und dachte einen Augenblick nach.
»Dann werde ich jetzt das Urteil sprechen.«
Die Anwesenden hätten den Atem angehalten, wenn sie denn noch am Leben gewesen wären.
»Ich spreche dich in allen Punkten schuldig. Deine Strafe ist diese rostige Kette, an der sich eine schwere Eisenkugel befindet. Sie wird dir angelegt, damit du dein restliches Geisterdasein mit ihr verbringen wirst. Das Urteil wird sofort vollstreckt und kann nicht angefochten werden.«
Jubel brach auf dem Dachboden aus. Auch der kleine Geist stimmte erfreut mit ein. Endlich gehörte er voll und ganz zur Geistergemeinschaft. Er hatte sich seine Belohnung verdient.

(c) 2021, Marco Wittler


Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay

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