1089. Die neuen Klamotten

Die neuen Klamotten

Elena kam von der Schule nach Hause. Sie stellte ihre Stiefel in den Schuhschrank, hängte die Jacke an die Garderobe und brachte den Rucksack in ihr Zimmer. Dann ließ sie sich neben Mama auf das Sofa fallen.
»Schau mal. Mein T-Shirt ist uralt. Da sind zwei Löcher drin. Ich brauche unbedingt neue Klamotten. So kann ich mich vor den anderen nicht mehr sehen lassen.«
Mama nickte und holte einen Pappkarton hervor, der neben ihr auf dem Boden gestanden hatte.
»Wie es der Zufall will, habe ich vor ein paar Tagen bereits ein paar Sachen für dich bestellt. Schau ruhig rein. Sie werden dir bestimmt gefallen.«
Elena öffnete den Karton und sah hinein. Neben mehreren Shirts waren auch ein paar Hosen dabei.
»Sag mal, Mama. Sind die Sachen etwa gebraucht? Das kannst du mir doch nicht antun. Die Klamotten sind doch nicht mehr aktuell. Sowas würden meine Freunde niemals anziehen und ich auch nicht.«
Mama holte die Kleidungsstücke einzeln heraus und verteilte sie auf dem Tisch. Die Einwände ihrer Tochter ignorierte sie.
»Schau dir die Sachen doch wenigstens mal an. Vielleicht gefallen sie dir ja doch. Man muss nicht immer fabrikneue Kleidung kaufen und sie nach einem Jahr wegwerfen. Das ist Verschwendung und nicht gut für unser Klima. Solange Gebrauchtes in Ordnung ist, kann es man kaufen und tragen.«
Elena seufzte laut, stand auf und griff übertrieben gelangweilt zu einer Hose. Gerade, als sie sie an ihre Hüften halten wollte, spürte sie etwas in der Hosentasche.
»Da steckt noch was drin.«
Sie griff vorsichtig hinein und holte einen kleinen Schlüsselanhänger in Form eines selbst gehäkelten Teddybären heraus.
»Das ist ja irre. Wo kommt der denn her? Der ist ja voll süß.«
Sie drehte den Anhänger hin und her, besah ihn sich von allen Seiten.
»Er hat sogar einen eigenen Anhänger um den Hals.«
Elena fand schnell heraus, dass man ihn öffnen konnte. Im Innern des kleinen Zylinders steckte ein gerollter Zettel, auf dem etwas geschrieben stand.
»Hallo. Mein Name ist Teddy. Wenn du diesen Zettel liest, bin ich irgendwo verloren gegangen und werde nun von meiner kleinen Besitzerin vermisst. Ich vermisse sie natürlich auch. Bitte bring uns wieder zusammen, damit niemand von uns traurig sein muss.« Darunter standen ein Name und eine Adresse.
»Mama!«, flüsterte Elena ehrfürchtig. »Wir können den kleinen Teddy zurück bringen.«
Sie blickten sich an.
»Machen wir das? Bitte, bitte, bitte.«
Mama nickte. Fünf Minuten später saßen sie bereits im Auto und waren auf dem Weg. Die Fahrt dauerte ganze drei Stunden, bis sie am Ziel waren und vor einem kleinen Haus hielten.
»Sind wir da?«, war Elena aufgeregt. »Ich halte es kaum noch aus, einem anderen kleinen Mädchen ihren Schlüsselanhänger zurück geben zu können.«
Sie stiegen aus, gingen die letzten paar Meter. Elena drückte mit zitternden Fingern die Klingel. Eine Frau, die so alt wie Mama sein mochte, öffnete und sah die zwei Unbekannten neugierig an.
»Wohnt hier ein Mädchen, das Beate heißt?«, fragte Elena und hielt den Anhänger in die Höhe.
Der Frau stockte der Atem. Sie hob beide Hände vor den offen stehenden Mund. Tränen liefen ihre Wangen herunter.
»Nein, das darf doch nicht wahr sein. Wo habt ihr meinen Teddy gefunden? Den vermisse ich seit über zwanzig Jahren und habe nicht mehr damit gerechnet, ihn jemals in meinem Leben noch einmal zurück zu bekommen. Er war ein Geschenk meiner Oma, die schon lange nicht mehr lebt.«
Vorsichtig nahm sie den kleinen Teddybären in die Hände, fast als würde sie nicht glauben, ihn tatsächlich berühren zu können.
»Wir haben ihn in einer Second Hand Hose gefunden.«, erklärte Elena. »Ist das nicht cool? Es ist eh viel besser, gebrauchte Klamotten zu kaufen. Das ist viel besser für Umwelt und es wird nicht mehr so viel Kleidung weggeworfen. Außerdem weiß man nie, welche Abenteuer man damit erleben kann.«

(c) 2021, Marco Wittler


Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*