Unser falscher Chauffeur
Wo ist mein Team, wenn ich es wirklich brauche?
Wieder einmal raste mir diese Frage durch den Kopf, während ich mich abhetzte, vor Anstrengung meine Lungenflügel keuchen hörte und lieber auf meinem Kratzbaum schlafen würde.
Ja, ich weiß. Kratzbaum? Denk selber ein Weilchen darüber darüber, dann wirst du feststellen, dass ich, der Manni, nicht zu euch Menschen gehöre.
Ich rannte, was das Zeug hielt, sah mich immer wieder nach hinten um, konnte meine Mitbewohner aber nirgendwo entdecken. Wir waren offensichtlich während der letzten Minuten getrennt worden. Aber ich sollte von vorn beginnen.
Ich hatte es mir tatsächlich auf meinem Kratzbaum gemütlich gemacht und hatte im Tiefschlag gelegen, als mich ein kratzendes Geräusch aus meinen Träumen weckte.
Ich schlug schlagartig die Augen auf und sah mich um. Zuerst konnte ich nichts entdecken. Das lag vor allem auch daran, dass die Geräusche von einem zum anderen Augenblick verstummten. Es war, als hätte ich das alles nur geträumt. Doch dann waren sie wieder da. Sie hatten ihren Ursprung unter mir.
Ich blickte hinab. Dann sah ich ihn. Ein mir unbekannter Kater hatte sich an meiner persönlichen Spielmaus-Sammlung zu schaffen gemacht und versuchte nun, sie zu entführen.
Ich schlug sofort Alarm und trommelte das Team zusammen. Es dauerte gefühlte Minuten, bis Lord Schweinenase, die Mini-Mietze, der Bengale und der Mann auftauchten.
Mit vor Wut zitternder Pfote zeigte ich auch den Dieb, der gerade dabei war, aus dem Fenster zu klettern. Jetzt ging es nur noch darum, ihn zur Strecke zu bringen und meinen Besitz zurück zu holen.
Wir gaben Gas, rannten die Treppe hinab und liefen auf die Straße. Der Verbrecher bog gerade um die nächste Ecke. Er hatte sich bereits einen großen Vorsprung erarbeitet, den wir nur mühevoll verkürzen konnten.
Immer wieder ging es mal nach links und mal nach rechts. Manchmal hatte ich sogar den Eindruck, er würde im Kreis laufen, um uns zu verwirren. Mit Letzterem schien er sogar Erfolg zu haben, denn nach ein paar Minuten war mein Team, wie ich eingangs schon erwähnt hatte, verschwunden. Ich war auf mich allein gestellt.
Es ging weiter durch die Straßen der Stadt. Meine Lungen brannten vor Anstrengung. So lange Läufe waren sie nicht gewohnt. Wir kamen in ein weniger bebautes Gebiet und erreichten einen Bauernhof. Die Eindrücke aus Gerüchen und Geräuschen, die auf mich einprasselten, verwirrten mich. Es fiel mir zunehmend schwer, die Fährte des Diebes zu verfolgen. Er musste diese Taktik von Anfang an geplant haben.
Auf leisen Pfoten betrat ich eine Scheune, kletterte eine Leiter empor und sah mich um. Die ungewohnte Höhe ließ mich schwindeln. Alles drehte sich vor meinen Augen und ich verlor den Halt. Ich stolperte und stürzte in die Tiefe. Glücklicherweise landete ich weich auf dem Fell eines gigantischen Tieres, in das ich mich panisch krallte. Später erfuhr ich, dass es sich um einen Stier gehandelt hatte, den der Schmerz meiner Krallen aufschrecken ließ. Er stürmte los, durchbrach den Zaun seines Stall und rannte quer über den Hof auf eine Weide zu.
Ich krallte mich noch fester, da ich Angst hatte, abzustürzen. Doch das hatte einen negativen Effekt. Der Stier wurde nur noch schneller. Ich machte ihn nicht nur einmal darauf aufmerksam, dass ich kein Taxi gerufen hatte und gern bei nächster Gelegenheit aussteigen wollte. Der Gigant wollte aber nicht auf mich hören.
Doch nach wenigen Metern stoppte er abrupt. Ich konnte mich nicht halten, flog über seinen Kopf und landete hart auf dem Boden.
Ich rappelte mich auf, drehte mich auf dem Absatz um und funkelte den Stier böse an. Ich gab ihm zu verstehen, die Lage unter Kontrolle zu haben und dass es an der Zeit war, mich abzusetzen. Doch irgendwie achtete er gar nicht auf mich.
Ich folgte seinem Blick und sah zur Seite. Dort hatte sich, nur wenige Schwanzlängen entfernt, die Mini-Mietze aufgebaut, die dem Giganten ihre Krallen zeigte. Es schien sich also mittlerweile herum gesprochen haben, dass sie es bereits mit einem solch großen Tier aufgenommen hatte.
Ich nickte ihr dankbar zu, klopfte mir den Dreck von den Pfoten und gab ihr zu verstehen, gemeinsam zu verschwinden. Ich würde wohl auf meine Spielmäuse verzichten müssen. Der Dieb war vermutlich mittlerweile auf und davon.
Wir trotteten wortlos nach Hause, betraten das Haus, in dem sich der Rest meines Teams mittlerweile wieder eingefunden hatte. Zu meiner Überraschung hatten sie in ihren eigenen Schatzkisten gekramt und mir ihr Spielzeug als Geschenk überlassen.
Ich war so gerührt, dass sich kleine Tröpfchen in meinen Augen bildeten. Meine Mitbewohner waren einfach die Besten.
(c) 2021, Marco Wittler
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