1159. Wenn der Tod an die Türe klopft

Wenn der Tod an die Türe klopft

Der Kalender zeigte den letzten Tag im Oktober. Es war Halloween und die Dunkelheit auf der anderen Seite des Fenster zeigte eindeutig, dass die Nacht gerade begann. Während auf den Straßen schaurige Gestalten von Tür zu Tür zogen, Süßigkeiten sammelten und an jeder Ecke lautes Lachen zu hören war, stand in einem der vielen Häuser der Stadt ein Geist vor einem großen Wandspiegel.
Er sah sein Gegenüber sehr kritisch an und bewegte sich dabei immer wieder hin und her. Er zog mal hier an seinem Laken und mal dort, war aber nicht so richtig zufrieden.
»Ach, verdammt! Es ist Halloween. Ich will gut Aussehen, wenn ich gleich unter Leute gehe.«
Dem Geist fielen ein paar Falten in seinem sonst makellos weißen Laken auf. Schon wollte er zu seinem Bügeleisen greifen, als es an der Tür klopfte.
»Auch das noch. Ich habe doch keine Zeit. Ich kann jetzt keine Sammeltüten von Kindern füllen.«
Der Geist ignorierte das Klopfen, ein paar Mal. Es hörte aber nicht auf.
»Zum Teufel! Wer nervt da?«
Er riss die Haustür auf und sah sich einer großen, schwarzen Kutte gegenüber unter deren Kapuze kein Gesicht zu erkennen war. In der rechten, knochigen Hand hielt die unbekannte Person eine Sense.
»Der Geist wurde nervös. Dieses Kostüm, das eindeutig den Tod darstellte, sah so realistisch, so echt aus.
»Du … du bist aber kein Kind. Kommst du trotzdem wegen Süßigkeiten?«
Sein Gegenüber schüttelte langsam den Kopf, hob die Hand und zeigte auf den Geist.
»Du kommst wegen mir?«
Die Kapuze nickte, schob den zitternden Geist ins Haus und schloss die Tür hinter sich.
Der Geist sah sich unsicher um. Gab es einen Fluchtweg? Konnte er sich anders aus dieser Situation retten? Doch dann fiel ihm etwas ein.
»Du kommst um Jahre zu spät. Schau mich doch an. Du warst schon hier. Ich bin ein Geist und längst verstorben.«
Der Tod hielt inne, dachte eine Weile nach und sah den Geist von oben bis unten an. Es schien gefühlte Stunden zu dauern, bis er schließlich nickte und das Haus wieder verließ. Er hatte in dieser Nacht noch andere Seelen zu holen.
Der Geist hingeben atmete tief durch, nachdem er die Haustür wieder fest verschlossen hatte. Er riss sich das Laken herunter. Darunter kam ein Mann zum Vorschein, der vor Angst kreidebleich geworden war.
»Noch einmal davon gekommen. Ich hätte niemals gedacht, den Tod belügen zu können.«
Doch in diesem Moment spürte er hinter sich einen Windzug. Die scharfe Sense war durch ihn hindurch gefahren. Der Tod hatte ihn überrascht und von hinten erwischt. Von nun an würde der Mann tatsächlich als Geist in seinem Haus spuken können.

(c) 2021, Marco Wittler


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