1158. Im Netz der Spinne

Im Netz der Spinne

Siggi schwitzte stark. Dicke Schweißtropfen fielen beinahe im Sekundentakt von seiner Stirn herab. Die Aufregung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er stand vor einer Entscheidung, die alles verändern konnte. Aber er wusste auch, dass er keine andere Wahl hatte. Warum war er nur in das Innere dieser dunklen Höhle eingedrungen?
Und nun stand er an am Rand einer Abbruchkante. Unter ihm lag ein tiefer Abgrund, dessen Boden er nicht einmal erahnen konnte. Ein Zurück gab es nicht, denn das hatte er über Stunden, vielleicht sogar Tage versucht. Er hatte den Ausgang nicht mehr finden können. Es musste einfach weiter.
Siggi schluckte schwer. Er holte ein Seil hervor, knotete das eine Ende zu einer Schlinge und warf es mehrmals in die Dunkelheit. Er hoffte, auf der anderen Seite des Abgrunds etwas zu erwischen und dann hinüber klettern zu können. Aber es gelang ihm nicht. Es gab also nur den Weg nach unten.
Siggi machte das Seil fest. Doch kurz bevor er über die Kante stieg, hörte er unzählige, kleine Füße, die sich auf dem Boden, an den Wänden und der Decke vorwärts bewegten.
»Verdammt! Spinnen! Ich hasse Spinnen!« Jetzt musste alles schnell gehen. Vor seinem inneren Auge stellte er sich übergroße, achtbeinige Monster vor, die sich über ihn her machten.
Er schwang sich in die Tiefe, ließ sich am Seil herab. Die Wand neben sich konnte er mehr erahnen, als dass er sie sehen konnte. Krabbelten dort auch diese widerlichen Viecher?
Plötzlich schimmerte da etwas, vor ihm, hinter ihm, an allen Seiten. Der Abgrund schien nur aus Spinnennetzen zu bestehen, die riesig aussahen. Siggi ahnte, dass die Spinnen mindestens so groß sein mussten, wie er selbst. Wenn sie ihn erwischten, war es auf jeden Fall vorbei.
Siggi atmete tief ein, hielt die Luft an und ließ sich weiter in die Tiefe hinab. Sein Blick wanderte ständig im Kreis, achtete ununterbrochen darauf, den Netzen nicht zu nahe zu kommen. Doch dann blieb er hängen.
Er hatte es versäumt, auch mal nach Unten zu schauen. Denn dort hatte die Falle gewartet und nun zugeschnappt. Er saß im Netz einer Spinne, klebte darin fest und verhedderte sich mit jeder verzweifelten Bewegung mehr und mehr darin. Es war vorbei. Er hatte verloren.
Schon hörte er acht Beine, die sich ihm schnell näherten. Aus der Dunkelheit schälte sich ein riesiges Biest, dass ihn aus vielen Augen anstarrte und laut zu lachen begann.
»Ich habe gewonnen!« Die Spinne brüllte ihren Triumph durch die ganze Höhle, dass jeder sie hören konnte.
»Siggi hat verloren. Jetzt bin ich dran mit weglaufen.«
Kichernd stürmte sie davon und suchte für die nächste Runde nach dem Ausgang. Siggi seufzte, rappelte sich auf und schloss sich seinen achtbeinigen Artgenossen an. So aufregend war noch kein Fangenspiel für ihn gewesen. Er hoffte, dass er bald wieder von seinen Freunden gejagt werden würde.

(c) 2021, Marco Wittler


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