1160. Die Kaverne der Gebeine

Die Kaverne der Gebeine

Die Arbeiter klopften schon seit Stunden mit ihren Werkzeugen gegen die Wand am Ende des neu entdeckten Höhlengangs. Der alte Professor, der den Weg hierher vor ein paar Wochen entdeckt hatte, war auf seltsame Spuren am Boden aufmerksam geworden.
»Vor langer Zeit wurde hier etwas entlang gezogen.« Er betonte es immer wieder, egal ob sein Gegenüber es hören wollte oder nicht. »Noch kann ich nicht sagen, worum es sich handelt, aber ich bin mir felsenfest sicher, dass wir auf der anderen Seite dieser Wand auf etwas Grandioses stoßen werden. Wir müssen nur erst hindurch kommen.«
Das Wir war es, das den meisten Arbeitern sauer aufstieß, denn bisher hatte der Professor noch kein einziges Werkzeug zur Hand genommen. Er stand die ganze Zeit nur da und gab unsinnige Tipps.
Kurz vor Sonnenuntergang, zumindest zeigte die Taschenuhr des Professors die späte Stunde an, bröckelte ein dickerer Stein aus der Wand unter dem ein Loch zum Vorschein kam.
»Los! Weg da! Ich muss als erster hindurch schauen.« Der Puls des Professors schnellte in die Höhe. Er bekam Schnappatmung. Hatte er endlich sein Ziel erreicht? Stand er kurz vor einer großen Entdeckung? Er griff nach einer der Öllampen, die an der Wand befestigt waren und leuchtete in das Loch.
»Verdammt! Ich kann nichts sehen. Dort scheint sich eine riesige Kaverne zu befinden, die wegen ihrer Größe das gesamte Licht verschluckt. Arbeitet schnell weiter. Wir müssen da durch.«
Er ging ein paar Schritte zurück, sah aufgeregt zu, wie weiter gearbeitet wurde. Eine halbe Stunde später fiel die Wand in sich zusammen und gab den Blick auf einen riesigen Raum frei.
»Verteilt die Lampen, aber achtet darauf, nichts dabei zu zerstören.
Langsam fiel das Licht in alle Ecken und erfüllte den Raum. Die Arbeiter hielten den Atem an. Vor ihnen, in der Mitte, lagen unzählige Gebeine und Knochen, die von längst verstorbenen Menschen zu stammen schienen.
»Wir müssen schauen, was hier passiert ist. Wurden sie getötet oder starben sie hier, weil sie nicht mehr nach draußen fanden? Vor uns liegen viele Rätsel, die wir lüften müssen und werden.«
Der Professor hockte sich hin, sah sich langsam um und griff irgendwann nach einem langen Oberschenkelknochen, um ihn genauer unter die Lupe zu nehmen.
»Komm, verrate mir deine Geheimnisse und deine Geschichte.«
In diesem Moment kam völlig unerwartet Leben in die Kaverne. Die Knochen begannen, sich von allein zu bewegen, sie schienen über den Boden zu kriechen und fanden sich zu vollständigen Skeletten zusammen, die sich langsam aufrichteten.
»Weg hier!« Der Professor bekam Panik. Er fürchtete um sein Leben. Auf dem Weg zum Ausgang schubste er mehrere Arbeiter zur Seite. Weit kam er allerdings nicht. Mehrere Knochenmenschen versperrten ihm den Weg.
»Was wollt ihr von mir? Tut mir bitte nichts.« Er bettelte um sein Leben.
»Du hast unser Spiel kaputt gemacht.«
Der Professor hielte inne. Ein Spiel? Was konnten Skelette schon spielen?
»Wir spielen hier seit zweitausend Jahren Mikado. In all den Jahren hat keiner von uns auch nur den kleinsten Knochen bewegt. Aber dann seid ihr hier aufgekreuzt und habt alles kaputt gemacht. Jetzt müssen wir von vorn beginnen.«

(c) 2021, Marco Wittler


Image by OpenClipart-Vectors from Pixabay

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