1222. Im Land des Fabeltiers

Im Land des Fabeltiers

Der kleine rote Teddybär Hannes hatte wieder mal seinen absoluten Lieblingsplatz aufgesucht. Von seiner Heimatstadt Köln war es nicht weit bis zum Flughafen. Dort saß er nun hinter einem der großen Fenster und sah mit großer Begeisterung den startenden und landenden Flugzeug zu. Die einen flogen in ferne Länder, die anderen kamen von dort zurück und brachten viele Geschichten und Abenteuer mit sich. Das einzige, was den kleinen Bären störte, waren die vielen Kinder, die immer wieder ihre Hände nach ihm ausstreckten und ihn einstecken wollten.
Da! Schon wieder kam eines von ihnen Hannes bedenklich nahe. Der Vater konnte es gerade noch rechtzeitig auf den Arm nehmen. »Fass den bloß nicht an. Wer weiß, wer den in den Händen hatte. Da könnte alles Mögliche dran sein.«
Was? Behauptete dieser Kerl etwa, dass Hannes dreckig war? Unverschämtheit. Jetzt reichte es. Der Teddy hatte die Lust auf den Flughafen für heute verloren. Er stand von seinem Platz auf und lief unter den erschreckten Augen des Vaters durch den Terminal.
Immer wieder waren Füße im Weg. Kaum zu glauben dass so viele Menschen gleichzeitig in den Urlaub fliegen wollten. Während Hannes einen Slalom lief, um von niemandem getreten zu werden, sah er plötzlich etwas glänzendes am Boden liegen. »Nanu? Was ist denn das?« Neugierig ging er näher. Da lag eine kleine Münze vor seinen pelzigen Füßen. Die musste wohl jemand hier verloren haben.
»Na?«, fragte Hannes. »Wo kommst du denn her?« Natürlich wusste er, dass ihm eine Münze nicht antworten konnte, trotzdem machte ihm dieses Gespräch Spaß. »Bist du ganz allein und fühlst dich einsam?« In Hannes Kopf nickte die Münze traurig und war kurz davor, ein paar Tränen zu weinen. »Keine Sorge, mein kleiner Freund. Ich sorge dafür, dass du wieder nach Hause kommst.«
Der Plüschteddy nahm die Münze zwischen beide Pfoten und betrachtete sie von beiden Seiten. Auf der einen war eine Frau abgebildet, die wie eine Königin aussah, auf der anderen ein ganz seltsames Tier, dass Hannes vorkam, als stamme es aus einer völlig verrückten Fantasiegeschichte. So ein Tier konnte es unmöglich geben.
»AUSTRALIEN«, las er die Buchstaben langsam vor. »Das klingt, als wäre es ganz weit weg. Hoffentlich finden wir einen Weg, dort hin zu kommen.« Er steckte die Münze ein und lief an den einzelnen Schaltern entlang, bis er einen Koffer fand, auf dessen Etikett Australien geschrieben stand.
»Moment mal.« Hannes war verwirrt. Auf dem Schalter stand etwas von Singapur. War das nicht ganz woanders?
»Sie haben mit Zwischenstopp gebucht?«, fragte die nette Dame den Fluggast, der daraufhin nickte. »Kurzer Aufenthalt, danach geht es direkt weiter nach Sidney ins Land der Kängurus.«
Prima. Hannes hatte Glück. Kängurus hatte er schon einmal im Zoo gesehen. Die kamen aus Australien. Er hängte sich an den Koffer und ließ sich in das Flugzeug tragen.
Stundenlang ging der Flug um die halbe Welt. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit landete das Hannes und konnte sich in sein Abenteuer stürzen.

Heimlich, still und leise verließ er das Flughafengebäude, und schlich sich in einen Bus, der ihn schnell aus der Stadt brachte. Dabei genoss er den grandiosen Ausblick auf den weiten Ozean, der in keiner Richtung ein Ende zu haben schien. Irgendwann stand Hannes allein in der Wildnis. Erst jetzt wurde ihm klar, dass er schon am Flughafen die kleine Münze hätte abgegeben können. Er hatte sie nach Hase gebracht. Und doch war da diese Neugier. Was war das für ein Fabelwesen, dass er darauf gesehen hatte? Irgendwo hier musste es doch leben. Der Teddy sah noch einmal nach. Es schien sich um ein kleines Pelztier handeln, dass aber einen Schnabel und Füße wie eine Ente besaß und im Wasser schwamm wie ein Fisch. Wahrscheinlich legte es sogar Eier. Bei dem Gedanken lachte Hannes laut. Nein. So verrückt würde es in der Natur gar nicht zugehen können.
»Ähm. Hallo? Kann mich jemand mitnehmen? Ich bin auf der Suche nach einem Tier?«
Schon tippte jemand dem Bären auf die Schulter. »Ich bin ein Tier. Suchst du vielleicht mich?«
Da stand ein großes, waschechtes Känguru. Hannes holte seine Münze hervor, verglich und schüttelte den Kopf. »Nein, du bist es nicht. Ich suche eigentlich ein Tier, dass es nicht gibt.«
Er ließ das Känguru auf die Abbildung schauen. Es nickte und öffnete seinen Beutel. »Los, spring rein. Ich bring dich hin.« So etwas hatte sich Hannes schon immer gewünscht. Er kletterte in den Beutel und schon ging es los. Das Känguru sprang los und raste durch das große Land. Es ging vorbei an Weiden, und Büschen. Sie ließen Wälder hinter sich. Es ging Hügel hinauf und herunter, bis sie vor einem Fluss stehen blieben.
»Hier, mein kleiner, roter Freund, wirst du es finden, das legendäre Schnabeltier.«
»Schnabeltier? Dann ist es also doch eine Ente?«
»Nein.«, erklärte das Känguru. »Es ist einfach nur ein ganz verrücktes Ding.«
Und da tauchte es auch schon auf. Ein pelziges Etwas mit großem Entenschnabel und ihren Füßen kam aus dem Wasser gewatschelt setzte sich neben Hannes und grinste ihn an. Es öffnete leicht seinen Schnabel, spuckte ihm Wasser auf den Bauch und lachte.
»Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie faszinierend mich die Menschen hier finden. Die mögen mich alle. Dabei bin ich gar nicht echt.« Da nahm es den Schnabel ab, zog die Watschelfüße aus,die nur Schühchen waren und zeigte sein wahres Gesicht. »Ich bin ein eigentlich ein Biber und verkleide mich, damit mich die Menschen in Ruhe lassen. Schlau, findet du nicht auch?«
Hannes blickte das falsche Schnabeltier an. Zuerst fiel ihm die Kinnlade runter. Doch dann begann er laut zu lachen. »Das ist ja eine mega coole Idee. Die ist so toll, dass man dich auch auf eine Münze gemalt hat.«
Hannes holte sie hervor und drückte sie dem Biber in die Pfote, der ganz überrascht war. »Das ich so berühmt bin, hätte ich gar nicht gedacht. Man wäre ich glücklich, wenn ich auch so eine Münze hätte.«
Hannes nickte. »Sie gehört dir. Das hatte ich von Anfang an vor. Ich habe sie in meiner Heimat entdeckt und wollte dich dann finden. Jetzt kann ich zufrieden nach Hause fliegen.«
Der Teddy drückte den Biber einmal an sich, wünschte ihm viel Glück als Schnabeltier nicht enttarnt zu werden und ließ sich vom Känguru zurück zum Flughafen hüpfen. Auf dem Weg dort hin freute er sich schon darauf, bald eine neue Münze zu finden, die er nach Hause bringen durfte.

(c) 2022, Marco Wittler

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