Kleine Welt im Sternenmeer
Rona 6-15 Beta langweilte sich. Seit einer gefühlten Ewigkeit war sie bereits in dieser endlosen Sterneninsel mit ihrem Raumschiff unterwegs, um ihrem Forscherdrang nachzugehen. Bis auf atemberaubende Gasnebel und Sonnen in unterschiedlichsten Farben und Größen, hatte sie nicht viel entdecken können. Egal, wie viele Planeten Rona besuchte und untersuchte, sie alle waren wüst und leer. Es schien, als würde es in dieser Galaxie an keinen einzigen Ort Leben geben.
»So langsam glaube ich nicht mehr daran, dass es noch andere gibt.«, sagte Rona enttäuscht. »Mein Volk scheint wohl doch ganz allein in diesem Universum zu sein. Egal, wo wir gesucht haben, wir konnten niemanden finden.« Sie seufzte laut vor Enttäuschung und dachte bereits darüber nach, ihre Mission abzubrechen. Den Rest ihres Lebens konnte sie auch mit Forschungen auf ihrer Heimatwelt verbringen.
»Möchtest du nicht wenigstens noch den letzten Stopp auf unserer Reise noch begutachten, bevor wir umkehren?«, schlug der Computer vor. Meinen Berechnungen zufolge, kreist dort im richtigen Abstand zu ihrer Sonne eine kleine Welt. Es würde dich auch nicht so viel Zeit kosten.«
Rona seufzte ein weiteres Mal, nickte aber zustimmend. »Danach ist aber Schluss. Ich ertrage keine weiteren Rückschläge mehr.«
Das kleine Forschungsraumschiff beschleunigte, beschrieb eine leichte Kurve und passierte schon bald die ersten Planeten. Nachdem der Computer einen Weg in eine Wolke aus uralten Gesteinsbrocken gefunden hatten, flogen sie an vier Gasriesen vorbei, die von einem zum anderen immer größer wurden. Erst nach einem Ring aus weiteren Felsen trafen sie auf wesentlich kleinere Steinplaneten, von denen es ebenfalls vier an der Zahl gab.
Kurze Zeit später erschien das Ziel auf dem Bildschirm. Es handelte sich um einen kleinen, blauen Planeten. Offensichtlich waren große Teile seiner Oberfläche von Wasser bedeckt. In der Atmosphäre schwebten große Wolkenbänder. Rona richtete sich in ihrem Kommandosessel auf. So vielversprechend hatte noch kein anderer Planet ausgesehen. Das hier war etwas ganz Besonderes, einzigartig sogar.
»Schnell!«, wies sie den Computer an. »Was sagen die Sensoren? Kannst du irgendwas entdecken?« Ungeduldig rutsche sie auf ihrem Hintern hin und her.
»Nicht so schnell. Ich bekomme jede Menge Daten herein und muss diese erst auswerten, bevor ich dir mehr sagen kann.«
Über den Bildschirm liefen wilde Buchstaben und Zahlen hin und her, deren Bedeutung Rona nichts sagten. Nach ein paar Minuten wurde er völlig schwarz. Nach einer gefühlten Ewigkeit flammten zwei Wörter in roten Buchstaben auf. LEBEN ENTDECKT.
»Das ist unglaublich.« Rona wusste nicht, wohin mit ihren Gefühlen. Diese Entdeckung, an die sie schon nicht mehr geglaubt hatte, überforderte sie.
»Was willst du nun machen?«, fragte der Computer.
»Ich weiß e nicht. Vielleicht sollten wir landen, mit den Lebewesen Kontakt aufnehmen und uns vorstellen. Wir können ihnen die frohe Kunde bringen, dass sie nicht allein im Universum sind.«
Der Computer steuerte das Raumschiff nun Richtung Oberfläche. Er hatte bereits einen Landeplatz gefunden. Dort waren auffällig viele Lebewesen versammelt. Es hatte den Anschein, dass sie auf Besuch von Außerhalb gewartet hatten.
»Einen Moment.« Er stoppte den Flug. »Ich messe ungewöhnliche Dinge an. Die Lebewesen sind bewaffnet. Sie führen einen Krieg gegeneinander.«
»Einen Krieg? Aber warum?« Rona war verwirrt. »Sind sie von zwei so unterschiedlichen Arten, dass sie sich nicht verstehen?«
Wenn er es gekonnt hätte, hätte der Computer nun den Kopf geschüttelt. Stattdessen gab er eine Antwort. »Sie gehören der selben Art an. Das macht überhaupt keinen Sinn. Sie sollten doch friedlich miteinander leben und sich gegenseitig unterstützen, statt sich und ihrer Welt Schaden zuzufügen.«
Rona lief eine Träne über die Wange. Gewalt und Krieg waren schreckliche Dinge. Ihr eigenes Volk hatte das vor langer Zeit hinter sich gelassen. Kaum jemand erinnerte sich noch daran.
»Wir müssen etwas dagegen unternehmen. Starte sofort eine Sonde, die zwischen den kriegerischen Parteien landet. Ich werde zu ihnen sprechen.« Keine Sekunde später verließ ein kleines, weißes Objekt das Raumschiff und näherte sich schnell der Oberfläche.
Die beiden Kriegsparteien standen sich grimmig gegenüber. Sie waren kurz davor, aufeinander loszugehen. Doch dann sah der erste Krieger etwas vom Himmel kommen. Es sah aus wie eine weiße Taube. Seinem Blick folgten immer mehr Augen. Fasziniert folgten sie dem Tier und ließen dabei unbewusst ihre Waffen sinken.
»Hört mich an!«, ertönte Ronas Stimme. »Ich komme von einer Welt, jenseits eurer Sterneninsel. Ich habe mein ganzes Leben lang nach euch gesucht und wurde bei jeder Welt, die ich besuchte, enttäuscht. Dieses Universum ist so leer, so einsam. Dass es mein Volk und auch euch gibt, ist so ein unglaublich großes Geschenk. Werft das nicht einfach weg. Schützt euch und eure kleine blaue Welt. Bekämpft euch nicht gegenseitig. Es wäre so unendlich traurig, wenn das Universum noch leerer werden würde. Beschützt und behütet diesen Schatz, den man Leben nennt.«
Da ließen die Kämpfer ihre Waffen fallen, gingen zögerlich aufeinander zu und drückten sich gegenseitig die Hände. Das ihr Leben und ihre Welt im unendlichen Sternenmeer so besonders waren, darüber hatten sie noch nie nachgedacht.
Rona 6-15 Beta zog ihre Taube zurück und entschied sich, die Lebewesen noch nicht persönlich zu besuchen. Sie brauchten erst einmal Zeit, um untereinander Freundschaften und Frieden zu schließen. Nun wollte sie ihrem eigenen Volk von ihrer Entdeckung berichten, um dann zu einem späteren Zeitpunkt diese noch unbekannten Wesen besser kennenzulernen.
(c) 2022, Marco Wittler
Die Geschichte wurde von einem Bild (nicht das auf dieser Seite) inspiriert, das Roiberhexe auf Twitter gemalt hat. Sie malt ganz tolle Bilder, die du dir unbedingt in ihrem Profil einmal anschauen solltest.
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