1353. Ach, Brundhilde

Ach, Brunhilde

Endlich. Die Sonne ging hinter dem Horizont auf. Endlich war der neue Tag angebrochen. Brunhilde, die vor Aufregung die ganze Nacht nicht geschlafen hatte, hüpfte aus ihrem Bett. Statt in ihre Hauspuschen zu schlüpfen, die wie zwei schwarze Katzen aussahen, machte sie sich schnell auf den Weg in die Küche.
Was sollte sie jetzt machen? Brunhilde hatte schon den starken Kaffee in der Hand, tauschte ihn dann aber gegen einen Sud aus allerlei Kräutern. Doch auch bei ihm war sie sich nicht sicher. Sie wollte die Karaffe zurück an ihren Platz stellen und stieß dabei gegen die Tischkante.
»Ach, Brunhilde.«, sagte eine tiefe Stimme aus der Ecke. »Du bist viel zu aufgeregt. Man könnte meinen, dass du heute jemanden kennenlernen willst und eine Horde Frösche im Bauch hast.«
Brunhilde fuhr herum und wurde knallrot im Gesicht. »Ach, Heinrich.« Sie ging auf die Kröte zu, stützte ihre Arme vor dem Tier ab und legte ihren Kopf auf ihre Hände. »Ich bin so aufgeregt, wie noch nie zuvor in meinem Leben. Ich weiß gar nicht, was ich mit mir machen soll. Das wird ganz bestimmt ein richtig schlimmer Tag, an dem alles schief gehen könnte.«
Heinrich lachte. »Dann wird es ein Tag, wie jeder andere auch. Aber du wirst das schon schaffen.«
Brunhilde seufzte, nickte und sah aus dem Fenster. Als sie erkannte, wie hoch die Sonne bereits stand, erschrak sie. »Bei allen guten Geistern, es ist schon viel zu spät. Ich muss los.«
Brunhilde ließ alles stehen und liegen, schnappte sich ihren großen Hexenhut und vergaß sogar, sich von Heinrich zu verabschieden. Sie stürmte aus dem Haus und lief in den Wald hinein. In ihrer Aufregung hatte sie aber nicht nur die Kröte in der Küche vergessen, auch ihre Stiefel standen noch im Flur ihres kleinen Hexenhauses. Brunhilde hatte sich barfuß auf den Weg gemacht.
»Autsch! Verdammt!«Auf den ersten Metern des Waldweges stachen ihr spitze Tannennadeln in die Fußsohlen. Brunhilde drehte sich um. Sie ärgerte sich über ihre Vergesslichkeit. Zurück zum Haus wollte sie aber auch nicht gehen, denn sie würde eh schon viel zu spät kommen. Sie entschied sich, den Schmerz zu verdrängen und weiter zu laufen.
Plötzlich tauchte zwischen den Bäumen ein kleines Tier auf. Eine Fledermaus stürzte sich in einem halsbrecherischen Flug herab und drehte mehrere Runden um Brunhildes Kopf.
»Was ist sie nur für eine seltsame Hexe? Sie läuft barfuß durch den Wald und trägt sogar noch ihr Nachtgewand.« Die Fledermaus lachte.
Brunhilde blieb stehen und sah an sich herab. Sie hatte vergessen, sich nach dem Aufstehen umzuziehen. »Ach, Brunhilde. Wie oft soll dir das eigentlich noch passieren?«
Die Fledermaus setzte sich auf einen Ast der nur eine halbe Armlänge von der Hexe entfernt war. »Ach, Brundhilde.«, wiederholte sie, was sie vernommen hatte. »Ach, Brunhilde. Du vergessliche kleine Hexe. Du brauchst wohl eine Begleitung, die dich unterstützt, die dich an alles erinnert, was du vergisst.« Die Fledermaus legte ihre Hand an ihr Kinn. »Aber welches magische Tier sollte dich erwählen? Mit anderen Hexen kann man bestimmt einfacher zusammenleben.«
Brunhilde seufzte. Sie wusste, dass es mit ihr nicht einfach ein würde. Sie wusste auch, dass sie einen Begleiter brauchte. Nur aus diesem Grund hatte sie sich auf den Weg gemacht. Doch nun wurde sie von dieser frechen Fledermaus aufgehalten und würde das Zusammentreffen mit ihren tierischen Begleiter verpassen. Sie würde allein nach Hause gehen müssen.
Wieder lachte die Fledermaus. »Du glaubst, dass du dein magisches Tier nicht mehr treffen wirst und allein nach Hause musst?« Wie machte sie das? Konnte die Fledermaus etwa Gedanken lesen? »Ja, natürlich kann ich das. Ich bin ein magisches Wesen.«
Brunhilde stockte der Atem. Vor sich saß offensichtlich eines der Tiere, die schon bald mit einer Hexe für immer verbunden sein würden.
»Ja, toll.« Sie wurde wütend. »Und auf deinem Weg zu deiner zukünftigen Hexe nimmst du mich noch schnell auf den Arm.«
Die Fledermaus erhob sich, umrundete Brunhilde mehrfach und musterte sie eine Weile, bevor sie sich in die Lüfte erhob. Sie griff mit ihren Krallen nach dem Hut der Hexe und flog damit davon.
»Gib mir sofort meinen Hut wieder zurück Wie soll mich denn sonst mein Magisches Tierwesen finden und erkennen?«
»Ach, Brunhilde!«, rief sie lachend. »Ich habe meine Hexe doch schon längst gefunden und ausgewählt.« Die Fledermaus flog in die Richtung davon, aus der Brunhilde gekommen war.
Die kleine Hexe hielt inne. Sie dachte nach und grinste. »Dann bist du …?«
»Nun komm schon. Zeig mir mein neues Zuhause.«
Brundhilde jubelte und lief ihrem magischen Tierwesen hinterher.
»Autsch! Autsch! Autsch! Diese verdammten Tannennadeln.«
»Ach Brunhilde.« Wieder lachte die Fledermaus. Das wird bald ein Ende haben. Ich werde gut auf dich aufpassen.«

(c) 2022, Marco Wittler

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