1539. Captain Scott Schimpanse reist zum Weihnachtsstern

Captain Scott Schimpanse reist zum Weihnachtsstern

Captain Scott Schimpanse saß im Kommandostuhl des Raumschiffs BANANENSCHALE und konnte seinen Blick nicht vom Hauptschirm der Brücke abwenden. Er konnte nicht mehr sagen, wie oft er schon auf diese Weise mit seiner Mannschaft den Film Drei Kokosnüsse für Affenbrödel gesehen hatte. Dafür wusste er umso genauer, wie oft er am Ende geweint hatte. »Nämlich jedes verdammte Mal.«, murmelte er leise vor sich hin, griff zum Taschentuch, wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel und warf es auf den großen Haufen neben sich.
Der Film endete, der Abspann flimmerte über den Schirm. Der Captain nahm sich noch schnell ein letztes Taschentuch, schnäuzte lauter als beabsichtigt und und blickte sofort mit strenger Miene durch die Runde. »So, wer ist jetzt hier so eine Memme, dass er oder sie heult und schniefen muss? Wer ist das Weichei?«
Die Mannschaft blickte geschlossen zurück. Köpfe wurden geschüttelt und Augen verdreht. Hatten sie etwa bemerkt, dass Scott Schimpanse seine Gefühle nicht hatte kontrollieren können? Nein. Auf keinen Fall. Sie waren allesamt Affen. Sie konnten unmöglich so schlau sein. Der einzig schlaue Primat an Bord war er selbst. Das dachte er zumindest.
»In Ordnung. Wir haben uns für die bevorstehende Mission genug vorbereitet. Setzt einen Kurs zum Weihnachtsstern.«
Die BANANENSCHALE nahm Fahrt auf, erhöhte beständig die Geschwindigkeit, bis sie schneller als das Licht wurde und in der Finsternis des unendlichen Alls verschwand.
Der Flug dauerte ein paar Tage, in denen nichts Aufregendes geschah. Der Captain verbrachte daher die meiste Zeit in seinem Quartier oder dem Büro, während die Tagesgeschäfte von seinem Stellvertreter übernommen wurden.
Immer wieder studierte er die Aufzeichnungen, die frühere Missionen über den Weihnachtsstern und seine Bewohner gesammelt hatten. Viel gab es dort nicht zu finden. Scheinbar handelte es sich um ein sehr zurückgezogenes Volk, das scheinbar kaum Kontakt zu Raumfahrern aufnahm. Das sollte die BANANENSCHALE nun ändern.
Ein Signal ertönte. Die Stimme des Ersten Offiziers erklang. »Captain, wir schwenken gerade in den Orbit um die Hauptwelt ein. Es wird Zeit, dass sie den Platz in der Mitte wieder selbst einnehmen.«
Der Captain seufzte, legte sein Tablet zur Seite und verdrehte die Augen. Seine letzten Erstkontakte mit ihm unbekannten Wesen waren nicht gerade gut verlaufen. Aus diesem Grund hatte er sich diesen Moment in weite Ferne gewünscht. Doch nun war er gekommen. Scott Schimpanse stand auf, ging zur Brücke und setzte sich wieder in seinen Sessel.
»Kommunikation! Einen Kanal öffnen. Ich möchte uns ankündigen.«
In der Raumfahrt war es üblich, dass man bei einem Anruf sein Gegenüber auf dem Hauptschirm in die Augen blicken konnte. Das traf zumindest bei Wesen zu, die mindestens ein Auge besaßen, was nicht unbedingt auf alle zutraf. In diesem Fall blieb der Schirm allerdings dunkel.
»Wie lautet die Losung?«, wurde eine schlichte Frage ohne jegliche Begrüßung gestellt.
»Losung? Welche Losung?« Dem Captain wurde es heiß hinter der Stirn. Hatte er bei seinem halbherzigen Studium zum Weihnachtsstern dieses Detail überlesen? »Verdammt nochmal, was meinen die für eine Losung?«
Die Stimme vom Planeten wiederholte sich. »Wie lautet die Losung?«
Scott Schimpanse zog stumm die Schultern hoch und blickte verzweifelt auf die Gesichter seiner Mannschaft.
»Sie haben noch dreißig Sekunden Zeit, die Losung zu nennen. Wenn sie diese nicht kennen, stufen wir sie als feindliches Raumschiff ein, als Eindringling und werden Gegenmaßnahmen ergreifen.«
Jetzt musste es schnell gehen. Wieder einmal stand ein Erstkontakt auf der Kippe. Wieder einmal musste er die Suppe auslöffeln, die andere ihm eingebrockt hatten. »Warum hat das niemand aufgeschrieben? Das hätte man mir sagen müssen.«
Ein Countdown ertönte. »Zehn, neun, acht, …«
Scott Schimpanse musste etwas tun. Irgendwas. Er suchte in seinem Gedächtnis nach dem rettenden Weihnachtsstrohhalm und sprach das Erste aus, das ihm in den Sinn kam, auch wenn es überhaupt keinen Sinn ergab. Er wiederholte ein Zitat, dass er erst vor wenigen Tagen wieder gehört hatte.
»Die Wangen mit Marmelade beschmutzt, aber ein Schimpansenbaby ist es nicht. Eine am Poppes, die Füße in Stiefeln, aber ein Mensch ist es nicht. Eine silbergewirkte Uniform mit Orden, aber ein Admiral ist er leider immer noch nicht.« Die zentralen Sätze aus Drei Kokosnüsse für Affenbrödel. Zumindest sinngemäß. Der Captain hatte sie ein wenig auf sich selbst umgedichtet. Er wäre zu gern Admiral. Dann müsste er nicht mehr mit einem Raumschiff in gefährliche Einsätze gehen, sondern könnte in einem schicken Büro andere Captains in gefährliche Einsätze schicken.
»Herzlich Willkommen auf dem Weihnachtsstern. Wir weisen ihnen einen Landeplatz zu.« Die Verbindungen wurde beendet.
»Wie? So einfach war das? Da hätte ihr alle auch selbst drauf kommen können.« Er blitzte die Mannschaft mit bitterbösen Blicken an. »Aber euer Captain muss euch mal wieder aus der Patsche helfen. Also eigentlich alles wie immer.«
Die Bananenschale landete auf einem großen Raumhafen inmitten eines riesigen Waldes. »Das hätte ich mir ja denken können. Alles Tannen. Die produzieren hier bestimmt den gesamten Weihnachtsbaumbedarf der ganzen Galaxis.«
Captain Scott Schimpanse stieg, gefolgt von ein paar Mannschaftsmitgliedern, durch die Schleuse aus und fand sich auf einem der größten Weihnachtsmärkte wieder, die er je gesehen hatte. Aus allen Richtungen wurden ihm Produkte angepriesen. Es roch nach Glühwein und Punsch. Zielsicher ging er auf einen Infostand zu und legte einen Zettel auf die Theke. »Das sind die Weihnachtsgeschenke, die ich meiner Frau besorgen soll. Bitte alles hübsch einpacken und an Bord bringen.«
Er hasste Weihnachtseinkäufe. Jedes Weihnachten der gleiche Stress. Er nahm sich vor, im nächsten Jahr alles online zu bestellen und nach Hause liefern zu lassen.

(c) 2023, Marco Wittler

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