Käpt’n Zackenbart und die Insel des Grauens
Der berüchtigte Käpt’n Zackenbart saß in seinem kleinen Piratenboot und segelte damit über die Weltmeere. Tag für Tag bediente er das Steuer, den Anker, setzte Segel holte sie ein und stand auch noch am Ausguck. Sein Boot war nämlich so klein, dass für eine eigene Mannschaft kein Platz an Bord blieb. Die einzig treue Seele, auf die sich der Pirat verließ, war sein dicker, schwarzer Kater. »Der ist so faul, dass ihm selbst das Klauen meines Abendessens zu anstrengend ist.«, erklärte Zackenbart gern und hielt sich dann vor Lachen den Bauch.
Gemeinsam saßen die Beiden im Boot, das nicht mehr war, als eine alte, rostige Badewanne mit einem Besenstiel als Mast, an dem eine rotweiß karierte Tischdecke hing. Der bestand aus einem stählernen Amboss, den er vor langer Zeit bei einer Kaperfahrt einem Schmied gestohlen hatte.
»Ich habe den nicht gestohlen. Der ist dem Schmied beim Flanieren am Hafen aus der Hosentasche gefallen. Das schwöre ich bei allen Klabautermännern, die mir je begegnet sind.«
Und gegen einen dieser Klabautermänner schimpfte Zackenbart nun aus Leibeskräften, denn das Wetter war alles andere als gut. Seit mehreren Stunden regnete es in Strömen. Der Pirat war ununterbrochen dabei, mit seinem Trinkbecher, das Wasser aus seiner Badewanne zu schöpfen, um nicht damit zu versinken.
»Das ist keine Badewanne mehr! Das ist ein stolzes Piratenboot, mit dem ich schon sehr viele Abenteuer erlebt habe. Ein Boot muss nicht groß sein, es muss nur zu seinem Käpt`n passen.«
Irgendwann zog kräftiger Wind auf, der das Piratenboot vor sich her trieb. Aus dem Wind wurde ein Sturm und aus diesem entwickelte sich ein ausgewachsener Orkan. Käpt’n Zackenbart griff zur Sicherheit nach seinem Kater und stopfte ihn sich unter seinen schon völlig durchnässten Strickpulli. »Du sollst mir nicht versehentlich über Bord gespült werden. Du kannst schließlich nicht schwimmen.« Außerdem musste der Pirat im Fall des Falles nicht hinterher, denn das Schwimmen hatte er in all den Jahren auf See selbst nie gelernt.
Die Badewanne … Zackenbart blickte grimmig auf. Es blitzte kurz in seinen Augen. Also … das Piratenboot füllte sich immer weiter mit Wasser. Schon längst reichte der Trinkbecher nicht mehr aus, um das Wasser auszuschöpfen.
»Wenn jetzt nicht langsam ein Wunder geschieht, segeln wir bald unter der Meeresoberfläche weiter und müssen mit Walen und Haien um die Vorfahrt streiten. Und gerade jetzt kann ich das überhaupt nicht gebrauchen.«
Das Jetzt bezog er auf das bevorstehende Weihnachtsfest. Immerhin wurde er bei Weihnachtsfeier der größten und gefürchtetsten Piraten der sieben Weltmeere erwartet.
»Ich möchte noch einmal betonen, dass ich mit Weihnachten nichts anfangen kann. Kitschig bunte Bäume, wohin man nur schaut. Außerdem gibt es dann so viel Beute beim Entern zu machen, dass ich gar nicht weiß, wohin mit dem ganzen Krempel. Das Geschenkpapier ist nur unnötiger Ballast in meinem Boot.«
Mittlerweile stiegen auch die Wellen immer weiter an. Die Ba … das Boot war dem Wetter völlig ausgeliefert. Einer Landratte wäre es jetzt bestimmt richtig übel in der Magengegend.
»Eine Landratte?« Käpt’n Zackenbart lachte laut. »Eine Landratte hätte bestimmt schon ihrem Frühstück nochmal Hallo gesagt, wenn ihr wisst, was ich meine.« Er zwinkerte. Doch das lenkte ihn so sehr ab, dass er die nächste Welle übersah. Das Unwetter griff sich das Boot und warf es um. Der Pirat und sein Piratenkater stürzten ins Wasser und kämpften um ihr Überleben.
Käpt’n Zackenbart spürte etwas Raues, das unaufhörlich und immer wieder über seine Wange gezogen wurde. Es war feucht und warm. Das konnte nur eines bedeuten. Er riss die Augen auf und blickte seinem Kater ins Gesicht, der ihn ableckte.
»Igitt. Lass das sein. Du weißt doch, dass ich das nicht mag. Wenn mich die anderen Piraten dabei sehen. Die denken glatt, dass ich ein Weichei bin.« Doch dann drückte er seinen Kater an sich und streichelte ihn so lang, bis dieser laut zu schnurren begann.
Zackenbart sah sich um. Er lag auf einem breiten Strand, der in beide Richtungen kein Ende zu haben schien. Nicht nur die beiden, sondern auch das Piratenboot war an Land gespült worden. Es war allerdings nicht klar, wie viel Zeit seitdem vergangen war, denn mittlerweile hatten sich die dunklen Wolken verzogen. Die Sonne hing an einem strahlend blauen Himmel.
Der Käpt’n erhob sich, klopfte den Sand aus seinen Klamotten und entschied für eine Richtung. Er achtete darauf, dass sein Kater immer an seiner Seite blieb. »Als Erstes suchen wir uns etwas zu essen. Danach finden wir heraus, wo uns befinden. Außerdem müssen wir die Badewanne …« Er verdrehte genervt die Augen. »Dieser blöde Geschichtenerzähler. Jetzt rede ich schon so wie er. Es ist keine Badewanne, sondern immer noch ein Piratenboot. Wir müssen es wieder seetauglich machen, damit wir hier wegkommen.«
Er wollte bereits losgehen, doch dann entschied er sich dagegen. Er ging am Boot vorbei und warf einen Blick hinein. Das ungute Gefühl, das er schon im Magen verspürt hatte, bewahrheitete sich nun. Im Boden war ein Leck. Der Badewannenstöpsel war verschwunden.
»Verdammt nochmal, das ist Piratenschiff und keine …« Resignierend ließ Zackenbart die Schultern und seinen Blick sinken. »ja, ich hab es verstanden. Es ist nur eine Badewanne. Aber es ist meine Badewanne und darin bin ich der Käpt’n. Verstanden?«
Verstanden, Käpt’n. Zackenbart drehte sich um und marschierte los. Sein getreuer Kater folgte ihm wortlos. Sie gingen am Strand entlang, immer den Blick auf den Wald gerichtet, der dem Meer gegenüber gewachsen war. Dieser war so dicht, dass es kein Durchkommen gab. Sie mussten einfach darauf hoffen, einen Weg zu finden. Vielleicht befand sich irgendwo ein Dort, vielleicht sogar eine Stadt, in der man einen neuen Stöpsel kaufen und damit das Piratenboot reparieren könnte.
»Danke.«, sagte Käpt’n Zackenbart unvermittelt.
Danke? Wofür denn?
»Danke dafür, dass du es Boot und nicht Badewanne genannt hast.«
Dir geht es schon schlecht genug. Warum sollte ich dich noch unnötig ärgern? Schließlich hängen wir hier zusammen fest. Solange du nicht weg von hier kommst, muss ich auch bleiben, um deine Geschichte zu erzählen.
Zackenbart blieb stehen und blickte zum Himmel hinauf, ohne genau zu wissen, wohin. »Wenn du so allwissend bist, dann verrate mir doch einfach, wohin ich gehen soll und wie es weitergeht. Das würde die Sache mächtig beschleunigen. Aber ich weiß schon, dass du das nicht machen darfst. Es könnte die Spannung aus meiner Geschichte nehmen. Richtig?«
Richtig! Aber du könntest mal nach rechts schauen. Vielleicht hilft dir das weiter.
Der Pirat blickte nach rechts und traute seinen Augen nicht. Da war ein Durchgang, der vor ein paar Sekunden noch nicht existiert hatte. War das etwa ein Werk dieses Erzählers? Egal. Wie auch immer. Dort war ein Weg. Dort würde er hoffentlich auf Hilfe treffen. Er packte sich seinen Kater unter den Arm und lief los.
Der Weg durch den Wald endete schon nach wenigen hundert Metern an einer großen Lichtung. Hier standen große Gebäude, die an eine moderne Fabrik erinnerten.
»Verdammt, wo bin ich denn hier gelandet? Ich habe mit einer einsamen Insel gerechnet, gestrandet irgendwo im Nirgendwo. Aber das hier verspricht richtig gute Hilfe.«
Zackenbart ging auf das erste Gebäude zu. »Hallo? Hört mich vielleicht jemand?«
Ein großes Tor öffnete sich. Dutzende kleine Wichtel strömten daraus hervor. Sie wurden von mehreren Rentieren begleitet, an deren Geweihen kleine Messingglöckchen hingen und ununterbrochen klingelten.
Der Pirat blieb sofort stehen, rieb sich die Augen und sah ein weiteres Mal hin. Diese seltsame Truppe war nicht verschwunden.
»Das ist jetzt nicht euer Ernst. Verdammt! Wo bin ich nur gelandet?«
Zackenbart taumelte ein paar Schritte zurück. Neben einem Schild, dass er zuvor nicht beachtet hatte. Nun las er es umso genauer.
Santa Claus GmbH. Weihnachtsinsel.
»Weihnachtsinsel?« Der Pirat wollte es nicht glauben. Also las er das Schild ein weiteres Mal. »Weihnachtsinsel? Jetzt ehrlich? Das ist doch ein schlechter Scherz.«
Nein, nein. Du hast schon ganz richtig gelesen. Du bist auf der Weihnachtsinsel gelandet. Ich habe das Schild nämlich schon beim ersten Mal entdeckt.
Zackenbart rollte mit den Augen und stöhnte. »Bei allen Klabautermännern, denen ich entkommen bin. Ausgerechnet ich lande beim Weihnachtsmann. Das konnte auch nur mir passieren. Jetzt will ich umso schneller wieder fort von hier.«
Er sah sich verzweifelt um. »Ich würde ein Königreich für einen neuen Stöpsel geben. Aber ich habe nur eine kaputte Badewanne.«
Die Wichtel und Rentiere traten näher zusammen und begannen zu tuscheln, während einzelne immer wieder aufsahen und zum Piraten und seinem Kater hinüber blickten. Ein paar Minuten später verschwanden sie wieder, ohne ein einziges weiteres Wort zu sprechen im Gebäude.
»War ja klar. Diese Insel ist eine Weihnachtsüberdosis. War klar, dass ich hier nicht mit Hilfe rechnen kann. Ich werde mir wohl einen neuen Stöpsel aus einem Stück Holz schnitzen müssen.«
Doch da öffnete sich das Fabriktor erneut. Ein großer, dicker Mann mit weißem Bart und in einen dicken, roten Mantel gekleidet, der viel zu warm für diese Gegend war, kam heraus. In seinen Händen hielt er zwei kleine Päckchen, die kunstvoll verpackt und mit bunten Schleifen verziert waren.
»Du bist jetzt nicht wirklich der echte Santa Claus.«
Santa lachte. »Doch, der bin ich und ich freue mich, deine Bekanntschaft zu machen. Endlich lernen wir uns einmal persönlich kennen, Käpt’n Zackenbart. Ich hatte immer befürchtet, dass es niemals dazu kommen wird, weil du Weihnachten nichts magst. Und dann stehst du unerwartet vor meinem Sommerhaus.«
Santa Claus trat ein paar Schritte vor. »Ich habe dir Geschenke mitgebracht. Vielleicht versöhnt dich das mit mir und dem Weihnachtsfest.«
Zackenbart zögerte. Er war sich nicht sicher, ob es nicht eine Falle war. Wollte ihn der alte Mann etwa um den Finger wickeln? Doch dann sprang er über seinen Schatten, nahm die Geschenke an und packte sie langsam aus.
Im ersten befand sich eine orange leuchtende Schwimmweste. »Die ist für deinen Kater. Dann musst du ihn bei Sturm nicht mehr unter deinen Pullover stecken, um ihn vor dem Ertrinken zu schützen.«
Der Pirat nickte und konnte sich ein freudiges Lächeln nicht verkneifen. Dann öffnete er das zweite Geschenk. Darin kam ein Stöpsel zum Vorschein. »Er ist leider nicht mehr ganz neu.«, erklärte Santa Claus. »Aber in der Eile konnte ich nur den aus meiner eigenen Badewanne nehmen. Ich werde also in der nächsten Zeit nur unter die Dusche gehen können.« Er lachte laut. »Aber du hast ihn nötiger als ich. Ich möchte nämlich nicht, dass du unterwegs mit deinem Piratenboot untergehst.«
Zackenbart bekam ein rotes Gesicht. Nun hatte ihn der Weihnachtsmann doch noch herumgekriegt. »Vielen, vielen Dank, das ist sehr freundlich von dir. Vielleicht mag ich Weihnachten ja doch. Aber nur ein kleines bisschen.« Er zwinkerte grinsend. »Immerhin bin ich ein waschechter Pirat. Ich habe eine Ruf zu verlieren.«
Er verabschiedete sich und machte sich wieder auf den Weg zum Strand, um sein Boot wieder seetauglich zu machen.
(c) 2023, Marco Wittler
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