1594. Willy Cowboywurm mag keine Gurken

Willy Cowboywurm mag keine Gurken

Während die Sonne über der Prärie unterging, färbte sich der Himmel am Horizont feuerrot. Die Geschäfte von Carson City schlossen nach und nach. Nur der Saloon hielt seine Türen weiter offen und beschallte die staubige Straße mit Klaviermusik und lauten Flüchen.
Die leuchtende Scheibe verschwand hinter den Bergen, machte den Sternen Platz. Nur der rote Lichterschein wollte nicht verschwinden.
»Seltsam.« Willy Cowboywurm blickte über die nahe Stadtgrenze hinaus und wunderte sich. »Ich habe schon viele Sonnenuntergänge in dieser Gegend gesehen, aber so hat noch keiner ausgeschaut. Die Natur ist immer wieder für eine Überraschung gut.«
Schon wollte er sich wieder der Zeitung widmen, die vor ihm auf dem Tisch lag, als Willy erschrocken die Augen aufriss.
»Feuer!«, brüllte er. »Feuer!«
Der Cowboywurm kroch von seinem Sessel und überquerte die Straße. Am nahen Rathaus läutete er die Alarmglocke. »Feuer! Die Prärie brennt!«
Ein paar brennende Büsche und Bäume klangen erstmal nicht gefährlich. Sollte aber der Wind ungünstig stehen, konnte er die Flammen zu den Behausungen treiben.
Überall öffneten sich Türen und Tore. Die Bewohner hatten sich mit Eimern bewaffnet und machten sich auf den Weg, der Gefahr Einhalt zu gebieten. Wenige Minuten später fuhr auch die Löschkutsche der Feuerwehr los. Auf dem Dach saß ein großer Rabe, der seine Flügel weit ausgebreitet hielt, um nicht vom Fahrtwind herab gepustet zu werden. Laut krähte er als Sirene in die Nacht.
Allen voran ritt Willy Cowboywurm auf das Feuer zu. Es konnte nicht weit entfernt sein, vielleicht direkt hinter den kleinen Hügeln, auf denen er als Kind früher gespielt hatte. Er bog um die letzte Kurve und hielt abrupt an.
Da war gar kein Feuer. Vor ihm lag ein schlafender Bär, der sich offensichtlich über seine Dose Bohnen hergemacht hatte. Mit seinen ständigen Fürzen, bewegte er große Papierbögen, auf die jemand Flammen gemalt hatte. Da nötige Licht kam von Öllampen, die am Boden aufgereiht waren.
»Das … das … Es ist eine Falle!«
Willy dachte erschrocken an die Stadt. Alle, die kräftig genug waren, um bei den Löscharbeiten zu helfen, waren hier. Die Häuser, der Saloon, aber auch die Bank, waren nun schutzlos.
»Jemand raubt uns aus. Wir müssen sofort zurück.«
Der Cowboywurm trieb sein Pferd zu Höchstleistungen an. Er musste sofort zurück. Wer auch immer diesen Plan ausgeheckt hatte, musste schnellstens aufgehalten werden.
Er ritt in die Stadt ein. Sofort bemerkte er die Veränderungen. Kleidungsstücke waren von den Wäscheleinen gerissen, Pappkartons lagen zerstört vor den Häusern. Willy erreichte den Saloon. Als er mehrere zerbrochene Einmachgläser sah, wurde ihm sofort gewusst, mit wem er es zu tun hatte. Er glitt aus dem Sattel, warf einen schnellen Blick auf eines der Etiketten. »Eingelegte Gurken.«
»Pickles McGurk!«, sagte jemand hinter ihm. Das Knurren in der Stimme ließ keinen Zweifel, dass die Situation nun gefährlich wurde.
»McGurk, mein alter Erzfeind. So sehen wir uns wieder.« Willy presste die Lippen aufeinander. So hatte er sich ein erneutes Treffen mit diesem Schwerverbrecher nicht vorgestellt.
»Zu einem Wiedersehen gehört, dass wir uns beide in die Augen blicken können. Dreh dich um, Willy. Schön langsam und keine hektischen Bewegungen.«
Willy glitt herum. Im Schatten der benachbarten Bank stand er. Eine Gurke von besonders kräftigem Wuchs, mit muskulösen Armen, die jeden Ringkämpfer neidisch werden lassen konnten. Seine rechte Hand ruhte auf dem Griff seines Colts, der noch im Halfter steckte.
»Mein Plan war verdammt gut und perfekt vorbereitet. Wenn ich gewusst hätte, dass der Cowboywurm in der Stadt ist, hätte ich mir ein anderes Ziel ausgesucht. Aber nun ist es, wie es ist.«
McGurk trat aus dem Schatten, was nicht wirklich viel veränderte, immerhin war es bereits Nacht. »Deine ständigen Einmischungen in meine Raubzüge bin ich leid. Das wird hier und jetzt enden.«
Es lief also auf ein Duell hinaus. Willy Cowboywurm kroch auf die Straße. Er sah an sich herab. Die Waffe an seinem Pistolengurt war bereit. Trotzdem brauchte er einen wahnwitzigen Plan. Als Wurm fehlten ihm die Hände. Er würde seinen eigenen Colt niemals ziehen können.
»Wir können uns jetzt nicht duellieren. Das widerspricht allen Gesetzen des Wilden Westens.«
Pickles McGurk legte die Stirn in Falten und den Kopf schief, was ihm wegen seines fehlenden Halses extrem schwer fiel. »Hä? Wieso denn das?«
Willy grinste. »Da weiß doch jedes Kind. Es muss High Noon sein. Cowboys duellieren sich zur Mittagsstunde.«
Willys Wurmschwanz, an dem er ein blank poliertes Blech festgebunden hatte, schnellte hoch. »Es werde Licht!« Der Mond wurde im Metall gespiegelt, traf McGurk in die Augen und blendete ihn.
In lange geübten Bewegungen warf Willy das Blech fort, schlug mit dem Schwanz gegen einen Stein am Boden und damit dem Verbrecher die Waffe aus dem Holster. Mit einem zweiten Stein traf er ihn an der Stirn. Die Gurke kippte bewusstlos um.
»Das war es. Und jetzt kommt der Rest von euch raus, sonst wird euch ergehen, wie eurem Boss.«
Zwischen den Häusern tauchten kleine Gewürzgurken auf, die Pickles aus den Einmachgläsern befreit hatte. Sie hatten die Hände über ihre Köpfe erhoben und ergaben sich.
»Ich bin mir sicher, dass in der Gefängniszelle schon ein großes Gurkenfass auf euch wartet. Dort könnt ihr gemeinsam mit McGurk versauern.«

(c) 2024, Marco Wittler

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