1606. Roarrr!

Roarrr!

Albert schwitzte unter seinem dicken Fell, während er in zwei großen Säcken alte Dachschindeln den Berg hinauf brachte. In Schwindel erregender Höhe von mehreren tausend Metern lebte eine Aplakaherde, zu der auch er gehörte.
»Albert, was schleppst du denn jetzt schon wieder für ein unnützes Zeug an?« Sein bester Freund Anton sah über die Ebene hinweg, auf der sich ein Haufen Ziegelsteine, Werkzeug und mehr befand. »Jedes Mal, wenn du ins Tal gehst, kommst du mit diesem Menschenzeug wieder.«
Anton trat näher und senkte seine Stimme etwas, damit ihn nur Albert hören konnte. »Die Herde macht sich langsam Sorgen um dich.Sie glaubt, dass bei dir irgendwas nicht mehr ganz richtig ist, wenn du ständig Menschenmüll anschleppst.«
Albert schüttelte so kräftig den Kopf, dass sie Schindeln in seinen Transportsäcken zu klappern begannen. »Das hat alles seinen Sinn. Vertrau mir einfach.« Er sah sich unsicher um. »Ich habe es dir doch schon erzählt. Du erinnerst dich bestimmt noch. Der Abend am Lagerfeuer.«
Anton riss die Augen auf und trat einen Schritt zurück. Nein, nein und nochmals nein. Ich glaube dir diese Geschichte nicht. Das macht hier niemand.«
Albert stöhnte. »Es ist die Wahrheit. Ich habe sie wirklich gesehen. Hier oben treibt sich ein Puma herum. Früher oder später taucht er auf unserer Weide auf und wird sich ein Alpaka zum Abendessen holen.«
Nun schüttelte Anton den Kopf. »Ich will das nicht hören. Lass mich bloß in Ruhe damit.« Er drehte sich um und ging. »Die anderen hatten wohl doch Recht.«
Albert seufzte. Es war gar nicht so einfach, die anderen Alpakas von der drohenden Gefahr zu überzeugen. Er trottete langsam zu seinem Bauplatz hinüber, legte die Schindeln ab und begann, aus den Ziegelsteinen einen sicheren Stall zu bauen.
Die Tage vergingen. Das kleine Gebäude wuchs langsam in die Höhe. Als es Zeit wurde, das Dach zu decken, kletterte Albert auf den Stall. An einem Seil zog er einen Sack voll Schindeln hinter sich her. Dabei fiel ihm eine kurze Bewegung ins Auge. Irgendwas versteckte sich am Rand der Weide in den Büschen. »Was ist das?« Er war sich nicht sicher. Hatte er es sich nur eingebildet?
Und geschah alles gleichzeitig. Äste brachen, Blätter wirbelten durch die Luft. Eine große Katze mit kurzem braunen Fell sprang hervor und stürmte auf die Herde zu.
»Der Puma!« Albert schrie. »Der Puma ist da! Rette sich wer kann!« Vor Schreck verlor er den Halt. Er stürzte vom Dach. Sein Sack fiel auf ihn und riss auf.
Unter Schmerzen und mit größter Mühe stand Albert auf. Er stöhnte so laut, dass der Puma inne hielt und seinen Angriff unterbrach. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Er schien plötzlich Angst zu haben.
»Nein! Das glaube ich nicht. Das ist ein Dinosaurier. Er wird mich fressen, wenn ich nicht sofort das Weite suche.« Die Raubkatze machte kehrt und stürmte davon.
»Ein Dinosaurier? Wo denn?«Albert sah an sich herab und musste grinsen. Die Dachschindeln hatten sich nach dem Sturz in seinem Feld verheddert und sahen wie die Schuppen eines Dinosauriers aus.
»Roarrr!« Albert begann zu brüllen und lief dem Puma hinterher. »Roarrr!« Die Raubkatze wurde noch schneller. Panisch verschwand sie hinter einem nahen Hügel und wurde nie wieder gesehen.
Die Alpakas kamen aus ihren Verstecken, wenn sie überhaupt so schnell welche gefunden hatten und liefen Albert hinterher. Sie alle bedankten sich bei ihm. Er hatte die ganze Zeit Recht behalten.
Von nun an musste die Herde nie wieder in Angst leben. Der Stall war eine gute Idee gewesen. Ein Dinosaurier als Schutz war allerdings um Vieles besser.

(c) 2024, Marco Wittler

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