1623. Das kleine Drachenmädchen Blubb

Das kleine Drachenmädchen Blubb

Die Schulglocke läutete. Die große Pause war vorbei. Die Drachenschüler, egal ob groß oder klein, packten ihre Brotdosen ein und trotteten gemächlich in ihre Klassenräume zurück. In der 1B hatten die Schülerinnen und Schüler bereits an ihren Tischen Platz genommen. Noch tuschelten sie miteinander, andere redeten lauter oder lachten über die Neuesten Witze, bis …
Professor Draconis betrat mit großen Schritten den Raum. Während er mit einem lang geübten Wurf seine Tasche auf das Pult beförderte, schloss er mit einer eleganten Bewegung seiner Schwanzspitze die Tür hinter sich.
»Guten Morgen, verehrte Drachinnen, Drachen. Ich hoffe, ihr habt zum Frühstück einen ordentlichen Schluck Feuerwasser getrunken, denn heute …« Er machte eine kurze Pause, sah von einem Augenpaar zum nächsten, während er ein warmes Lächeln auf seine Lippen zauberte. »… heute werden wir die erste Lektion in der Beherrschung des Feuers lernen. Seid ihr schon aufgeregt?«
Begeisterung schwappte durch die Stuhlreihen. Die Kinder konnten ihre Freude nicht verbergen. Das Feuer war nun einmal das Wichtigste im Leben eines Drachen. Es machte ihn aus, es unterschied ihn von allen anderen Echsenwesen und Dinosauriern dieser Welt. Nur ein Drachenmädchen saß in der letzten Bank und rutschte ganz langsam von ihrem Stuhl unter den Tisch, während ihr eigentlich grünes Gesicht rot anlief.
»Ist alles in Ordnung … ähm …« Professor Draconis griff zur Schiefertafel, die auf dem Pult lag und ging mit seiner Zeigekralle die Namen durch. »Blubb ist dein Name, richtig?«
Blubb nickte und rutschte noch ein Stück tiefer.
»Geht es dir gut oder soll ich nach der Schulschwester rufen lassen? Sie kennt sich sehr gut mit allen Arten Krankheiten aus, die es im Drachenland gibt.«
Blubb schüttelte den Kopf. »Machen sie einfach mit dem Unterricht weiter und beachten sie mich nicht. Ich glaube, das ist besser für uns alle.«
Professor Draconis rieb sich über sein Kinn. »Was hatte das zu bedeuten? Er verließ das Pult, ging durch die Reihen und setzte sich auf den Boden neben Blubbs Tisch.
»Lass mich dir eine Geschichte erzählen. Ich kannte einst einen jungen Drachen, der sich nichts sehnlicher wünschte, als endlich Feuer spucken zu können. Er wollte nicht nur stolz auf sich selbst sein, seine Mutter sollte es auch sein. Doch dann geschah ihm ein großes Missgeschick. Bei einer Wanderung durch die Vulkanfelder entdeckte er Wasser. Seine Neugierde brachte ihn dazu etwas davon zu trinken.«
Die Drachenkinder erschraken. Nein. Ein Drache durfte niemals nicht und unter gar keinen Umständen Wasser trinken.
»Es kam, wie es kommen musste. Dampfwolken stiegen ihm aus Mund und Nasenlöchern. Sein Feuer war erloschen.«
Die Drachenkinder hingen ihm an den Lippen und konnten kaum das Ende der Geschichte erwarten. »Wie ging es aus? Hat er sein Feuer wieder entfachen können?«
Professor Draconis lächelte. »Ja, ich habe mein Feuer zurückbekommen, doch dafür musste ich ganz allein nach Feuerland reisen. Naja, so ganz allein war ich nicht unterwegs. Ich wusste nur nichts von meiner Begleitung. Doch das ist eine andere Geschichte. Aber es soll nicht um mich gehen, sondern um Blubb. Was ist mit deinem Feuer?«
Blubb schniefte. Eine Träne lief ihre Wange herab. »Ich werde nie ein eigenes Feuer entfachen können. Ich bin als Baby in einen großen Waschzuber gefallen und habe viel vom Wasser verschluckt. Alles, was aus mir herauskommt, sind Seifenblasen. Ich gehöre hier nicht her und werde niemals eine echte Drachin sein.«
Nicht nur den anderen Schülerinnen und Schülern standen die Münder offen, auch Professor Draconis konnte nicht fassen, was er da hörte. Er nickte schließlich. Dann bist du die erste Blubberblasendrachin, von der die Welt je gehört hat. Es wird meine Aufgabe sein, den richtigen Platz in ihr für dich zu finden. Ich bin mir sicher, dass es für deine besondere Begabung auch einen besonderen Platz geben wird.«
»Nein!« Blubb antwortete lauter, als sie es beabsichtigt hatte. »Das können sie nicht schaffen. Ich verkrieche mich einfach für den Rest meines Lebens in einem dunklen Loch.«
Sie verließen das Schulgebäude, querten den Hof und erreichten kurz darauf die Vulkanfelder. Aus jedem noch so kleinen Loch stiegen Schwefelwolken auf. Die Schlote spuckten Lava, die wie Flüsse ins Tal flossen.
»Das hier ist der perfekte Trainingsplatz. Hier kann man nichts versehentlich in Brand setzen. An diesem Ort haben schon tausende Drachen ihre Feuerfähigkeiten geübt.«
Während Professor Draconis erste Lektionen vorführte, setzte sich Blubb etwas abseits und wischte sich in regelmäßigen Abständen die Tränen von den Wangen. Während die anderen gerade ihren Traum lebten, spürte sie selbst nur das Grummeln in Bauch, das sich bildende Seifenblasen erzeugten.
Plötzlich schrie jemand. Gretchen Glutschimmer war übermütig auf deinen der Vulkane gestiegen und dort auf einen alten, knorrigen Baum geklettert. Doch nun war dessen Stamm von Lava umflutet.
Man hätte annehmen können, dass dies für einen Drachen nur ein willkommenes Feuerfest gewesen wäre, doch das Gegenteil war der Fall. Auch wenn sie Feuer spucken konnten, würden sie in einem Lavabad umkommen.
»Ich … ähm …« Professor Draconis sah sich panisch um. »Jemand muss ihr helfen. Holt sofort Hilfe!« Er lief von einem Drachen zum nächsten, doch die Kinder wussten nicht, was sie machen sollten. »Es wird ihr Ende sein, wenn ihr nicht endlich jemand hilft.«
Eine kleine Hand, legte sich auf seinen zitternden Arm. Sie schob ihn entschlossen zur Seite. »Sie wollten einen Platz für mich in dieser Welt finden? Ich glaube, ich habe ihn gerade selbst gefunden.« Blubb ging ganz nah an das Ufer des Lavaflusses heran. Ihre Krallen begannen zu glühen und zu schmerzen. Sie schloss die Augen, konzentrierte sich. Aus ihrem Mund kam eine Seifenblase hervor, die größer war als alle anderen jemals zuvor.
Die Blase stieg empor. Eine leichte Windbrise trieb sie auf den Baum zu. »Hab keine Angst, Gretchen. Ich hole dich dort herunter.« Die Blase umfing das Drachenmädchen, schloss es in sich ein. Sie schwebte ein paar Meter weiter, tiefer und zerplatzte an der Spitze eines Steins.
Großer Jubel kam auf. Die Drachen umringten zuerst Gretchen, dann Blubb, die mit ihrer Heldentat ein Leben gerettet hatte.
»Ich habe es dir vorausgesagt.« Professor Draconis legte seine große Pranke auf Blubbs Schulter. »Für jeden von uns gibt es einen Platz in dieser Welt, so unmöglich un unglaublich er auch sein mag. Du bist eine Blubberblasendrachin und deine einzigartigen Fähigkeiten sind großartig.«
Blubb wurde rot im Gesicht. Doch dieses Mal war es nicht wegen des fehlenden Feuers, sondern weil sie ihren eigenen Weg gefunden hatte und nun zu einer Heldin geworden war.

(c) 2024, Marco Wittler

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