Einsatz am Hafen
»Mein lieber Anton, was hältst du von einem kleinen, gemütlichen Ausflug? Bei dem schönen Wetter wäre es viel zu schade, wenn wir den ganzen Tag im Haus verbringen.« Herr Fritte, ein großgewachsener Kater, der nur zu gern seinen Bauch in einem vornehmen Morgen- oder Abendmantel versteckte und stets eine schicke Fliege um den Hals trug, stellte seine Tasse auf den Tisch neben sich. »Damit möchte ich natürlich nicht behaupten, unser Haus wäre nicht schön genug, um die Zeit darin zu verbringen. Ich liebe meine alte Bibliothek und die vielen Bücher darin, aber manchmal zieht es mich einfach an die frische Luft.«
Anton, ein Kater von gedrungener, aber äußerst kräftiger Statur, krempelte die Ärmel hoch, um die leeren Tassen und die Kanne abzuräumen. Dabei kam seine Tätowierung in Form eines Ankers zum Vorschein. »Wenn wir den Hafen besuchen und uns den neuen Leuchtturm anschauen, bin ich dabei. Ich war schon viel zu lange nicht mehr am Meer und vermisse es sehr.«
Es war also abgemacht. Der Ausflug konnte stattfinden. Gemeinsam verließen sie die Bibliothek und trafen im Flur auf einen schlanken Kater, den sogar Anton spielend um zwei Köpfe überragte und an Krücken ging.
»Mr. Little!« Herr Fritte ging freudig auf den Dritten zu. »Wir machen einen Ausflug ans Meer. Der Wagen steht schon bereit. Ich hoffe, dass sie uns begleiten.«
Mr. Little verbeugte sich und nickte. »Sehr wohl. Ihr wisst, dass ich vor nichts zurückschrecke und mir kein Wagnis zu anstrengend ist. Ich bin natürlich dabei.«
Herr Fritte tauschte schnell seinen Mantel gegen ein bequemes Jackett, während sich Anton seine weinrote Strickmütze über den Kopf zog. Zu dritt nahmen sie auf dem Kutschwagen Platz, der von einem kräftigen Hund mit muskelbepackten Beinen von der Villa auf den Klippen hinab ins Dorf und den Hafen gezogen wurde.
»Meine lieben Freunde.« Herr Fritte sog die frische Meeresluft tief in seine Lungen hinein, bevor er weitersprach.«Was haltet ihr von einem leckeren Eis im Hörnchen? Ich habe gehört, dass es auf mein Bitten endlich eines mit Baldriangeschmack gibt.«
Gemütlich schlenderten sie die Promenade entlang, bis Antons Blick auf etwas fiel, das an der Wasseroberfläche schwamm. »Du meine Güte! Ist das etwa …« Er war drauf und dran ins Wasser zu springen. Doch der leblose Körper im Matrosenanzug zeigte, dass es für Hilfe bereits zu spät war. So musste er nicht dafür entschuldigen, dass er wasserscheu war.
»Ich habe noch nie gehört, dass ein Seemann über die Hafenkante stolpert und im Wasser verunglückt. Es muss sich um ein Verbrechen handeln. Wir müssen sofort die zuständigen Ermittlungsbehörden benachrichtigen.« Er drehte sich um und eilte zum nächsten Fernsprechgerät, das an einer Wand hing. Dort ergriff der Kater ein Dosentelefon und gab seine Meldung durch.
Hinter dem großen Fenster des Leuchtturms, der sich direkt im Hafen befand, war ein geräumiges Büro eingerichtet worden. An der orangen Rückwand prangten vier große silbergraue Buchstaben. NCIS. Naval Cats Investigative Service.
Hinter ihren Schreibtischen saßen drei Special Agents, die immer dann zum Einsatz kamen, wenn im Hafen und dessen Umfeld ein Verbrechen verübt wurde. Doch im Augenblick war es ruhig. Die hier arbeitenden Katzen kümmerten sich um den lästigen Schreibkram, den sie nur zu gern aufschoben oder in ihren Schubladen verschwinden ließen.
Das Dosentelefon, dass sich auf einem der Schreibtische befand, begann sich zu bewegen. Ein Anruf kam herein. Ein alter Bengalkater, dessen Schläfen langsam ergrauten, griff nach der Dose, hielt sie sich ans Ohr und zog dabei die Schnur stramm. Er hörte zu, legte seine Stirn in Falten und nickte langsam. »Wir kommen sofort!« Special Agent Atheno Grips ließ die Dose fallen, sprang auf und winkte die anderen hinter sich her. »Packt euer Zeug! Wir haben einen neuen Fall. Jemand wurde leblos im Hafenbecken gefunden.«
Sein Team griff wortlos nach den immer bereit stehenden Rucksäcken. Gemeinsam ging es in den Fahrstuhl. Wenige Augenblicke später standen sie bereits an der Wasserkante.
Grips blickte nach unten und seufzte. Für eine Rettung kamen sie eindeutig zu spät. »Holt ihn da raus. Aber seid vorsichtig. Es dürfen keine Spuren zerstört werden, bevor sie nicht gesichert werden konnten.«
Special Agent Tony DiNase nickte. Kurz überlegte er, direkt ins Wasser zu springen. Doch schon der Gedanke daran, sich das Fell nass zu machen, ließ ihn erschauern.
»Nimm das Schlauchboot da drüben und fang endlich an.«
»Danke, Boss.« Tony atmete erleichtert auf. Warum musste ausgerechnet er immer die unangenehmen Aufgaben übernehmen? Ihm hätte es viel mehr zugesagt, ein paar hübsche Miezen zu befragen. Doch das durfte heute Special Agent Tim McKatze machen. »Der hat aber auch ein Glück.« Doch dann fiel sein Blick auf die drei Kater, die immer wieder sorgenvoll ins Wasser blickten.
»Ich kann ihnen wirklich nicht viel dazu sagen.« Herr Fritte, der nervös an seiner Fliege nestelte, stand noch immer unter Schock. »Wir sind lediglich hierher gekommen, um ein Eis zu essen. Als wir eintrafen, schwamm das Opfer bereits reglos im Hafenbecken. Wir wären natürlich sofort bereit gewesen, zur Rettung zu eilen. Aber sie wissen ja selbst, wie das mit dem Wasser so ist. Wir konnten uns einfach nicht überwinden.«
Tim nickte verständnisvoll, während er sich alles notierte. Er selbst wäre wohl auch nicht ins Wasser gesprungen.
Eine weitere Katze kam aus dem Leuchtturm. Trotz ihrer kleinen und zierlichen Figur, zog sie eine großen, schweren Bollerwagen hinter sich her, in dem sich ein kleines, mobiles Labor befand. Die Phorensikerin Abby, die die gefundenen Spuren untersuchen sollte, machte sich sofort ans Werk.
Special Agent Grips sah sich unruhig um. Warum geschah hier alles viel zu langsam? »Tony, warum bist du noch nicht im Wasser? Du solltest dich doch um den Verunglückten kümmern.« Er verdrehte genervt die Augen, zog kurzerhand seine Dienstjacke aus und sprang ins Wasser. Im Gegensatz zu seinen Leuten mochte er das kühle nass. Es wurde in Ermittlerkreisen sogar vermutet, dass er sich irgendwo im Leuchtturm eine Dusche hatte einbauen lassen, unter der er sich die freie Zeit vertrieb. Doch das waren nur unbestätigte Gerüchte.
Grips schwamm ein paar kräftige Züge, bis er den Körper erreicht hatte, griff danach und brachte ihn in eine Position, in der er ihn problemlos ans Ufer ziehen konnte. Kurz darauf ging es die Treppe aus dem Becken wieder heraus.
»Ich glaube, hier tischt uns jemand einen ganz dicken Bären auf.« Der Teamleiter ließ den Geretteten achtlos fallen. »Der ist weder verletzt noch verstorben. Das ist nur ein verdammter Teddy aus dem Spielwarengeschäft. Was soll das?«
Verwirrt sahen sie sich alle um. Diese neue Erkenntnis änderte einfach alles. In diesem Moment hatten die Ermittler keinen Fall mehr. Enttäuscht packte Abby ihren Bollerwagen und wollte ihn gerade zurück in ihr Labor bringen, als sich erneut etwas tat.
»Haltet Sie! Haltet die Diebe!«
Eine größere Katzengruppe kam in hoher Geschwindigkeit um die Ecke gelaufen und stürmte am NCIS vorbei. Tim konnte gerade noch durchzählen. Es waren fünf und gekleidet wie … »Das sind die Piratenkatzen!«, rief er ehrfürchtig. Oft genug hatte er Berichte über diese Freibeuter gelesen, sie aber für einen Mythos gehalten, da er niemanden kannte, der sie je zu Gesicht bekommen hatte. Und nun liefen sie in Fleisch und Blut an ihm vorbei.
»Haltet die Diebe!« Ein großer, grauer, dicker Kater bog nun auch um die Ecke. Kurz blieb er stehen und blickte ernst zum Erzähler dieser Geschichte. »Ich bin nicht dick. Ich nur sehr kompakt gebaut.« Schon lief er weiter, konnte die Piraten aber nicht mehr erreichen. Sie liefen auf ihr Schiff, stießen die Planke ins Wasser und stachen in See. Laut jubelnd zeigten sie ihre Beute vor, einen großen Kühlbehälter mit leckerem Baldrianeis.
»Och nö.« Herr Fritte seufzte. Hatte er sich vor ein paar Minuten noch so auf diese leckere Erfrischung gefreut, machte sich nun eine große Enttäuschung breit. »Dafür sind wir extra hierher gekommen.«
»Nicht nur ihr.«, sagte der Graue. »Aber der Mann, mein treuer Begleiter und Assistent war wieder so langsam auf den Beinen, dass wir dieses schändliche Verbrechen nicht aufklären konnte. Ach, mein Name ist Manni. Wir sind private Ermittler. Weit und breit sind wir unter dem Namen Mann und Manni bekannt. Der Mann ist übrigens wirklich dick, ganz im Gegensatz zu mir.
Der Mann erreichte nun auch den Tatort. Im Gegensatz zu Manni hielt er ein Baldrianeis in der Land, war allerdings vom Geschmack nicht gerade begeistert. Die Katzen, die sich in seiner Begleitung befanden, die Mini-Mieze, der schwarzen Schattenkater, ein vor Angst zitternder Bengale und Lord Schweinenase, dessen Eis sich auf seiner Nasenspitze breit machte. »Mein Team.« Manni seufzte. »Und wehe, einer lacht, dass ich der einzige heute ohne Eis bin, dann werde ich sauer.« Sein Team konnte sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen. Sie wussten nur zu gut, dass Manni niemals sauer wurde. Lediglich eine Person wagte es, das Eisproblem zu kommentieren.
Eine Frau mit einem schicken lila Sommerstrohhut gesellte sich zu den vielen Katzen, die nun an der Hafenkante standen. »Ich habe dir gesagt, dass du dich für eine Eissorte entscheiden solltest. Hättest du nicht minutenlang zwischen Baldrian und Leberwurst geschwankt, wäre das alles nicht passiert.«
Der Ärger um das Eis wurde durch laute Schreie unterbrochen. Die Piraten, die sich am äußersten Rand des Hafens befanden, bekamen Panik. Ihr Schiff zeigte eine deutliche Schlagseite und war dabei zu sinken.
»Was ist da los?« Agent Grips war verwirrt.
»Och, es könnte sein, dass ich mir eine kleine Gemeinheit ausgedacht habe.« Die kleine Laborkatze Abby griff in die Tasche ihres weißen Laborkittels und hielt ein schwarzes Ding in die Luft. Sie grinste. »Ich hab dem Piratenschiff den Stöpsel gezogen. Die kommen nicht mehr weit.«
»Abby, du bist ein Schatz.« Grips drückte ihr einen Knutscher auf die Wange, dass ihre kleinen, kugeligen Zöpfe zwischen ihren Ohren wippten. Anschließend sprang der alte Special Agent zurück ins Wasser, um das Eis vor der Versinken zu retten.
Eine halbe Stunde später war das Büro des NCIS gut gefüllt. Nicht nur die Katzen, die sonst hier Dienst taten, waren anwesend, auch das Ermittlerteam von Mann und Manni und Herr Fritte mit seinen Freunden waren eingeladen worden. Gemeinsam saßen sie um einen großen Tisch herum, schleckten leckeres Baldrianeis und lachten immer wieder, wenn sie zum großen Fenster blickten, auf dessen anderer Seite sich die Piratenkatzen die Nasen platt drückten.
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