1692. Dunkle Wolken

Dunkle Wolken

Mit dem Abend verschwand langsam die Sonne hinter dem Horizont. Der Himmel, der den ganzen Tag blau klar gewesen war, veränderte sich schnell. Dunkle, schwere Wolken zogen aus der Ferne heran und tauchten die Welt in Finsternis. Die Luft war von einem wohligen Duft erfüllt, der jeden daran erinnerte, im Trockenen Schutz zu suchen.
»Oh, oh!« Der dicke Maulwurf Matteo war gerade erst aus einem seiner Tunnel an die Oberfläche gekommen und schnupperte aufmerksam in jede Richtung. »Das riecht nicht ungefährlich. Ich muss die anderen warnen, falls sie nicht schon längst das Weite gesucht haben. Es wird bestimmt nur noch ein paar Minuten dauern, bis es zu regnen beginnt und die ersten Blitze aus den Wolken zucken.«
Er lief, so schnell ihn seine kleinen Füße tragen konnten, zum Komposthaufen, vor dem eine große Menge Laub lag. Er drückte auf einen versteckten Knopf und hörte, wie es im Inneren klingelte.
»Moment! Bin gleich da.« Das Getrappel kleiner Pfoten drang an Matteos Ohren. Kurz darauf kroch eine Igeldame unter den Blättern hervor.
»Ida! Du bist Zuhause. So ein Glück.« Der Maulwurf hob einen Arm und zeigte zum Himmel hinauf. »Geh bloß nicht vor die Tür. Es gibt gleich ein schweres Gewitter.«
Ida blickte auf, betrachtete kurz die dunklen Wolken und nickte. »Ich hasse Gewitter. Damit will ich nichts zu tun haben.« Schon kroch sie zurück in ihr Versteck und schloss die Tür gewissenhaft hinter sich zu.
Matteo lief weiter und machte erst vor dem Gartenhäuschen Halt. »Moritz? Hallo Moritz! Bist du Zuhause? Ich muss dich warnen.«
Ein Schatten erhob sich vom flachen Dach, der sich als schwarzer Kater entpuppte. Auf seiner Brust befand sich ein weißer Fleck in Form eines Sterns. Er griff zur Seite, setzte sich einen Cowboyhut auf den Kopf und blickte auf den Maulwurf hinab.
»Der Sheriff ist immer im Dienst und beschützt die Schwachen vor jeder Bedrohung. Womit kann ich helfen?«
Matteo schüttelte den Kopf. »In dieser Situation kannst auch du nicht mehr eingreifen.« Er zeigte nach oben. »Da zieht ein Gewitter auf. Wir müssen uns in Sicherheit bringen.«
Moritz schaute auf, kniff die Augen zu dünnen Schlitzen zusammen und nahm den Himmel ganz genau unter die Lupe. Schließlich begann er zu grinsen und legte sich wieder auf seinen Platz. »Mach dir keine Sorgen. Wir sind in Sicherheit. Aber du solltest dir vielleicht ein Ohrstöpsel besorgen. Es wird gleich etwas lauter.«
»Aber … aber …« Matteo verstand die Welt nicht mehr. Wie konnte dieser Kater trotz der aufkommenden Gefahr nur so ruhig bleiben? »Aber das Gewitter? Warum hast du davor keine Angst?«
»Weil es kein Gewitter ist. Schau hin. Wende dich nicht ab.«
In diesem Moment rasten die ersten Lichtblitze zur Erde hinab. Lauter Donner … blieb aus. Die Welt um den Garten herum blieb völlig still.
»Wie ich bereits sagte, es ist kein Gewitter.«
Die dunklen Wolken senkten sich tiefer herab, gingen auseinander, bis sie nur noch aus unzähligen, kleinen Punkten bestanden, die in einem regelmäßigen Takt einen Lichtblitz erzeugten.
»Bei allem was mir heilig ist. Das wird mir zu gruselig. Das ist schlimmer als jedes Gewitter.« Matteo wollte gerade flüchten, als die Lichtpunkte auf den Bäumen und Büschen um ihn herum landeten.
»Glühwürmchen?« Der Maulwurf wollte seinen Augen nicht glauben. »Ihr seid Glühwürmchen. Aber was macht ihr in unserem Garten und warum gaukelt ihr uns ein Gewitter vor?«
Eines der Glühwürmchen landete auf Matteos Nase. »Es ist Wochenende. Wir feiern jetzt eine fette Party mit lauter Musik und Lichtershow. Was sollte man denn sonst am Samstagabend unternehmen?«
Matteo atmete erleichtert auf. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht damit. »Dann hole ich wohl meine Freunde wieder aus ihren Verstecken. Die wollen bestimmt bei der Party dabei sein.«

(c) Marco Wittler

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