Ein gefährliches Spiel
Benjamin wurde langsam wach. Es dauerte einen Augenblick, bis der die Augen öffnete, zu sehr brannte ihm ein künstliches Licht entgegen. Es war ein Gefühl, als hätte er mehrere Tage lang geschlafen. Er wollte sich recken und strecken, doch irgendwas hinderte ihn daran.
»Willkommen zurück.«, sprach eine leise Stimme. In ihrem Unterton war das schlechte Gewissen eines kleinen Jungen zu hören.
»Ich hatte schon Angst, dass du gar nicht mehr aufwachst.«
Benjamin öffnete seine Lider und sah sich um. An seiner Seite saß Stefan. Seinen roten Augen war anzusehen, dass er schon ein paar Mal geweint hatte.
»Was machst du denn hier?«, fragte Benjamin.
»Wie lange sitzt du denn schon hier in meinem Zimmer?«
Doch dann sah er sich verwundert um und stellte fest, dass er ganz woanders war.
»Du erinnerst die gar nicht mehr, was passiert ist?«
Benjamin schüttelte mit dem Kopf, hörte aber sofort mit dieser Bewegung wieder auf, als er einen starken Schmerz verspürte.
In diesem Moment begann Stefan zu erzählen.
Es war viertel nach sieben. Die Sonne war gerade aufgegangen und überall in der Siedlung öffneten sich die Haustüren. Aus ihnen strömte eine große Zahl Schulkinder heraus. Sie alle waren auf dem Weg zur Bushaltestelle.
»Los, geh einen Schritt schneller. Wir wollen doch noch eine Runde spielen, bevor wir fahren.«
Stefan drängelte wie an jedem Morgen. In seiner Hand hielt er einen alten Tennisball. Benjamin gähnte laut, doch dann lief auch er auf ihr Ziel zu.
Es waren nur wenige Kinder anwesend. Sie drängten sich in einem kleinen Wartehäuschen zusammen. Die anderen saßen auf einem Absperrzaun oder rissen Blätter einer Rankenpflanze ab, die über einen hohen Zaun gewachsen war.
»Wir haben Glück. Es ist noch nicht viel los. Heute werde ich der Gewinner sein. Deine Glücksträhne ist jetzt vorbei.«
Stefan war sich sehr siegessicher. Doch sein Freund grinste nur vor sich hin.
Der Ball landete auf dem Bürgersteig und wurde nun ständig hin und her geschossen. Jedes Mal, wenn ihn einer der Jungs nicht stoppen konnte, war ein Tor gefallen.
Es stand fünf zu vier für Benjamin, als eine größere Gruppe Kinder um die Ecke bog.
»Verdammt. Jetzt wird es wieder voll.«, stöhnte Stefan.
Eigentlich hätten sie nun ihr Spiel abbrechen müssen. Der Platz hinter der Absperrung reichte nicht mehr aus. Doch dieses Mal wollte er nicht aufgeben. Nur ein Tor trennte ihn vom Unentschieden. Ein weiteres und der hatte den Sieg in der Tasche.
»Lass uns woanders weiter spielen.«, drängelte Stefan.
»Heute ist mein Tag. Heute werde ich wieder gewinnen.«
Benjamin sah sich unsicher um. Wo sollten sie denn nun spielen? Die Bushaltestelle füllte sich weiter mit Kindern. Es waren so viele, dass sie nicht einmal hinter der Absperrung Platz fanden. Der ganze Gehweg war voll. Selbst eine Mutter mit Kinderwagen wäre hier nicht mehr durch gekommen.
»Es ist doch nichts los hier. Autos kommen ja gar nicht so viele. Wir können auf die Straße gehen.«
Schon machte Stefan zwei Schritte nach vorn und legte seinen Ball auf den Boden. Sein Freund blieb allerdings wo er war.
»Was soll denn das? Willst du mir das ganze Spiel verderben? Komm endlich her.«
Er stemmte die Arme in die Seiten und sah Benjamin finster an.
»Wenn ein Auto kommt, können wir immer noch zur Seite gehen.«
Er hob den Ball wieder auf und ging auf seinen Freund zu.
»Los, komm schon. Es passiert doch gar nichts.«
Er schob Benjamin vor sich her und schubste ihn auf die Straße.
»Und? War das jetzt so schlimm?«
In diesem Moment kam ein schnelles Auto um die Kurve gefahren. Der Fahrer sah die beiden Jungen auf der Fahrbahn, konnte aber nicht mehr rechtzeitig bremsen. Stefan hörte die quietschenden Reifen und sprang zurück. Doch Benjamin kam nicht mehr rechtzeitig weg.
»Und das ist alles heute Morgen passiert?«, fragte Benjamin.
Doch Stefan schüttelte den Kopf.
»Das war gestern. Der Krankenwagen hat dich gleich abgeholt. Du bist sofort operiert worden und hast bis jetzt geschlafen.«
Es klopfte. Ein Mann in einem weißen Kittel kam herein und stellte sich als Doktor Hoffmann vor. In seinen Händen hielt eine Kartei, die er schnell durchblätterte.
»Schau an, du bist wieder wach.«
Er klärte Benjamin auf, dass sein linker Arm gebrochen war und er eine Gehirnerschütterung erlitten hatte.
»Aber die Operation ist sehr gut verlaufen und es wird alles wieder gut.«
Benjamin atmete erleichtert auf, als er das hörte.
»Also dann kann ich dir auch verzeihen, dass du mich auf die Straße geschoben hast.«
Er hielt Stefan die rechte Hand hin, die dieser nur zu gern schüttelte. Echte Freunde konnte einfach nichts auseinander bringen.
(c) 2009, Marco Wittler
Antworten