202. Wie der Löwenzahn entstand

Wie der Löwenzahn entstand

Leo litt Höllenqualen.
»Oh nein, ich habe so unerträgliche Schmerzen.«
Der König des Dschungels hielt sich mit seiner Pranke die rechte Wange.
»Was soll ich denn nur machen? So kann ich mich doch nirgendwo sehen lassen. Ich kann ja nicht einmal mehr richtig brüllen.«
Das muss man sich einmal vorstellen. Ein Löwe, der nicht mehr brüllen kann. Dann ist er doch kein richtiger Löwe mehr.
Der Affe Bullibo saß neben dem König und sah ihm verzweifelt zu. Er wusste sich ebenfalls keinen Rat.
»Eurer Majestät. Ihr müsst unbedingt wieder zu Kräften kommen.  In einer halben Stunde sollt ihr eine Ansprache für das Volk halten. Ihr habt überraschende Dinge angekündigt.«
Leo wollte gar nicht daran denken. Jeden Dienstag hielt er eine Ansprache. Doch schon seit langer Zeit hörte ihm niemand mehr richtig zu. Im Dschungel passierte einfach nichts Aufregendes. Also hatte er nun etwas Neues angekündigt, wusste aber selbst nicht, worum es sich handelte.
»Wie soll ich bloß auf neue Ideen kommen, wenn mein Kopf nur noch aus Schmerzen besteht? Die Medizinschlange hat mir schon vorgeschlagen, dass ich auf einem Stück Süßholz kauen sollte. Aber dadurch wurde es noch viel schlimmer.«
Bullibo näherte sich dem Maul des Löwen und warf einen vorsichtigen Blick hinein.
»Du meine Güte, der Zahn sieht ja gar nicht gut aus. Das Zahnfleisch ist ganz dunkelrot.«
Leo wimmerte wieder vor sich hin.
»Wer will denn schon einen Herrscher ernst nehmen, der jeden Moment anfangen könnte zu weinen?«
Doch der Affe machte seinem Herrn Mut.
»Macht euch nicht zu viele Sorgen. Wir haben noch etwas Zeit. Es wird uns bestimmt etwas einfallen.
Es klopfte plötzlich an der Tür. Bullibo öffnete und ließ eine alte, stattliche Eule herein.
»Na, wo brennt es denn? Horatio ist schon zur Stelle und wird jedes Problem lösen.«
Die Eule war das schlaueste Tier im Dschungel, kam öfters für eine Beratung im Schloss vorbei. Und nun wollte er sich um die Gesundheit des Königs kümmern.
Leo zeigte mit der Pranke auf seine dicke Wange.
»Dann lasst mich doch mal einen Blick in euer Maul werfen.«
Der Löwe zeigte seine Zähne vor. Horatio steckte seinen Kopf bis fast in den Hals und sah sich um.
»Hm. Hm. Seltsam. Das sieht gar nicht gut aus. Da muss dringend etwas geschehen. Ich werde euch ein Mittelchen verabreichen.«
Er griff in seine Tasche und holte ein paar Kräuter hervor, die er um den Zahn legte. Schon Sekunden später hüpfte der Löwe wild im Kreis herum.
»Hilfe, ist das heiß. Macht das weg. Ich will das nicht.«
Er spuckte wieder alles aus.
»Aber das sollte euch doch von den Zahnschmerzen ablenken.«, erwiderte die Eule.
Leo sah Horatio grimmig an.
»Aber so löst du mein Problem nicht. Vielleicht sollte ich dich einfach fressen. Ein voller Magen könnte mich auch von den Schmerzen ablenken.«
Er wollte gerade auf seinen Berater zuspringen, als dieser durch das Fenster das Schloss verließ. Leo rutschte auf dem Teppich aus, stürzte und stieß sich das Kinn am Fensterbrett.
»Au!«, rief er laut und sah zu, wie sein entzündeter Zahn aus seinem Maul fiel und im Blumenkasten landete.
»Er ist weg. Der Schmerz ist verschwunden. Bullibo, du kannst dir nicht vorstellen, wie schön das Leben ist.«
Doch der Affe hörte gar nicht zu. Sein Blick war von etwas Faszinierendem gefesselt.
»Euer Majestät, schaut euch das hier einmal an.«
Der Löwe drehte sich herum und sah zu seinem ausgefallenen Zahn. Dieser war in der Erde des Blumenkastens verschwunden. Und nun wuchs in Windeseile eine grüne Pflanze daraus hervor. Wenige Sekunden später öffnete sich eine große gelbe Blüte.
»Das ist es Bullibo. Das ist die Neuigkeit für unseren Dschungel. Ich werde diese Blume Löwenzahn nennen.«

(c) 2009, Marco Wittler


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