Das peinliche Wichtelgeschenk
Nick betrat andächtig die Schule. Heute war ein besonderer Tag. Es war der letzte Unterricht vor den Weihnachtsferien. Heute würden sie nichts mehr lernen müssen. Stattdessen durfte jeder Kekse mitbringen und kurz Schulschluss wurde unter den Kindern in seiner Klasse gewichtelt.
Für das Wichteln hatte jedes Kind ein Geschenk mitgebracht. Im Gegensatz zum letzten Jahr, hatte Nick die Regeln etwas verändert. In seiner Aufgabe als Klassensprecher hatte er einen entsprechenden Vorschlag gemacht, der auch angenommen wurde.
Vorbei war nun die Zeit, in der die meisten Kinder unzufrieden mit ihren Geschenken waren. Niemand sollte mehr ein Geschenk bekommen, das er nicht mochte. Jeder sollte sich etwas aussuchen dürfen. Und darauf freute er sich schon sehr. Aber bis dahin war noch etwas Zeit.
Statt nun in den Klassenraum zu gehen, blieb Nick an der Eingangstür der Schule stehen. Er wartete auf seine Mitschüler und begrüßte an diesem Tag jeden einzelnen persönlich. Nach und nach trudelten sie ein. Wenn einer von ihnen mit dem Auto gebracht wurde, versuchte Nick zu erraten, wer sich darin befand.
In den ersten Wagen, der vorfuhr, konnte Nick nicht hinein sehen. Die Fenster der Rückbank waren mit Einhornbildern verziert.
„Das muss eins von unseren Mädchen sein.“, war er sich sicher. „Ich tippe auf Sofie.“
Der Wagen blieb stehen. Die Tür öffnete sich. Statt Sofie stieg aber ein Junge aus. Es war Max, der mit hochrotem Kopf auf schnellstem Weg in die Schule lief. Als er an Nick vorbei kam, flüsterte er ihm schnell etwas zu.
„Du hast nichts gesehen. Vor allem keine Einhörner.“
Dann lief er weiter in die Klasse.
Ein paar Schulstunden und etliche Kekse später war es dann so weit. Das Wichteln begann. Nick stand vorne am Pult und griff nach und nach in einen großen Sack. Er holte jedes Päckchen einzeln hervor und öffnete das Geschenkpapier. Zu jedem fand sich ein Kind, dass sich über die Geschenke freute.
Fast zum Schluss, es waren nur noch zwei Päckchen übrig, hielt Nick ein buntes Einhorn mit langer Regenbogenmähne in den Händen. Er sah durch die Klasse, stellte aber fest, dass alle Mädchen bereits ein Geschenk in Händen hielten. Und dann fiel sein Blick auf Max. Kurz sah er in dessen Augen riesige Begeisterung. Doch dann schüttelte dieser kaum merklich den Kopf. Es schien ihm zu peinlich zu sein, ein Geschenk anzunehmen, über das sich sonst nur Mädchen freuen würden. Er musste große Angst haben, dass die anderen Jungs ihn auslachen würden.
Wie zur Bestätigung kam aus der letzten Reihe sofort ein dummer Spruch.
„Na los, Nick, gib Max das Einhorn. Der kann das bestimmt gebrauchen. Der hat auch noch kein Geschenk.“
Sofort begannen die anderen Jungs zu lachen, während MAx ganz rot im Gesicht wurde.
„Nix da!“, sagte Nick mit fester Stimme. „Das Einhorn bleibt bei mir. Sowas hab ich mir schon immer gewünscht.“
Die Jungs in der Klasse verstummten. Der coole Nick stand auf Einhörner? Damit hatte keiner von ihnen gerechnet. Waren Einhörner vielleicht doch ein tolles Spielzeug?
Niemand traute sich, Nick zu beleidigen oder ihn auszulachen. Er war immerhin der Klassensprecher und sehr beliebt. Mit ihm wollte niemand Streit haben.
Das letzte Geschenk, ein Spielzeugauto landete schließlich in den Händen von Max.
Kurz nach Schulschluss verabschiedete Nick seine Klassenkameraden an der Tür des Klassenraums. Der letzte, der noch blieb, war Max, der schließlich ganz verlegen auf ihn zukam.
„Hey, danke. Das hätte ich echt nicht von dir gedacht. Ich bin echt froh, dass du mir geholfen hast. Die anderen hätten mich bestimmt voll fertig gemacht, wenn sie wüssten, dass ich Einhörner mag.“
Nick grinste und tauschte sein Einhorn gegen das Auto.
„Ist doch nur ein Einhorn. Nichts, wofür man fertig gemacht werden sollte. Dein Geheimnis ist bei mir gut aufgehoben.“
Gemeinsam verließen sie die Schule. Kurz bevor sich ihre Wege trennten, verriet auch Nick noch ein großes Geheimnis, das niemand sonst wissen sollte.
„Wenn bei uns eine Feier ansteht, dann tragen mein Papa und ich immer rosa Hemden, weil man da irgendwie echt cool drin aussieht.“
Dann grinste er und zwinkerte noch einmal zum Abschied.
„Ich wünsch dir frohe Weihnachten und viel Spaß mit deinem Einhorn.“
(c) 2017, Marco Wittler
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