715. Der Anrufbeantworter

Der Anrufbeantworter

»Und melde dich, wenn du angekommen bist.«, ermahnte Mama Papa noch einmal, bevor er sich auf den Weg zu einer Fortbildung machte.
Papa nickte, gab ihr noch einen Abschiedskuss und machte sich dann mit dem Auto auf den Weg zum anderen Ende des Landes.
Unterwegs rief er regelmäßig zu Hause an, um sich einfach nur zu melden und um sich die Langeweile zu vertreiben.
Irgendwann musste Mama ihn aber stoppen. »Wir fahren gleich zu Oma und Opa. Dann musst du mir auf den Anrufbeantworter sprechen.«
Das war für Papa völlig in Ordnung. Das machte er schließlich nicht zum ersten Mal. Mama würde dann, wenn sie wieder zu Hause war, alle Nachrichten abhören und sich darüber freuen, dass Papa ihr immer wieder aufs Band gesprochen hatte, wie sehr er sie liebte.
Eine halbe Stunde nach dem letzten Gespräch drückte Papa wieder auf den Startknopf seiner Freisprechanlage im Auto. Das Telefon wählte die eingespeicherte Nummer und der Anrufbeantworter sprang an.
Doch statt der üblichen Ansage von Mama war plötzlich die Stimmen seiner Kinder Leonie und Finn zu hören.
»Hallo Papa!«, riefen sie belustigt.
»Hallo Kinder.«, antwortete Papa, obwohl er genau wusste, dass sie ihn in diesem Moment gar nicht hören konnten.
»Wir finden das ganz toll, dass du Mama von unterwegs immer wieder anrufst und ihr zeigst, dass du an sie denkst.«, sprachen die Kinder weiter.
»Aber du bist nicht der Einzige, der an seine Lieben denkt, denn wir denken natürlich auch an dich.«
Papa begann zu grinsen. Mit so einer tollen Nachricht hätte er niemals gerechnet. Das war eine riesige Überraschung.
»Aber irgendwie wissen wir jetzt gar nicht, was wir dir erzählen oder berichten sollen. So lange bist du ja auch noch gar nicht unterwegs.«
Papa hörte eines seiner Kinder aufstehen und zur Uhr laufen. Aus der Ferne hörte er Leonie rufen.
»Zwei Stunden ist er jetzt schon weg!«
»Du hast es gehört.«, redete Finn weiter. »Zwei Stunden bist du erst unterwegs. In der Zeit kann noch gar nicht so viel passieren. Und weil es nichts zu berichten gibt, haben wir uns etwas anderes überlegt. Wir lesen dir einfach etwas vor.«
Er hörte, wie die Kinder in einem Buch blätterten.
»Wir haben mal die besten Gute Nacht Geschichten ausgesucht, die du uns jeden Abend vorliest. Heute machen wir das mal umgekehrt.«
Und schon begannen die Geschwister abwechselnd eine Geschichte nach der anderen vorzulesen, bis irgendwann Mamas Stimme zu hören war.
»Kinder! Es wird Zeit. Macht euch bitte fertig. Wir fahren jetzt zu Oma und Opa.«
»Du hast es gehört, Papa. Wir müssen jetzt leider Schluss machen. Aber wir hören und sehen uns bestimmt bald wieder. Tschüss. Wir haben dich lieb.«
»Ich habe euch auch lieb.«, sagte Papa und wischte sich vor Rührung eine Träne aus dem rechten Auge.
Schon überlegte er sich, was er antworten sollte. Aber da wurde er von einer elektronischen Stimme unterbrochen.
»Keine Anrufaufzeichnungen mehr möglich. Der Speicher ist voll. Versuchen sie es bitte später noch einmal.«
Es piepte und die Verbindung wurde beendet.
Papa grinste. »Da haben die Beiden ja ganze Arbeit geleistet. Hoffentlich ist Mama nicht enttäuscht, wenn sie heute Abend keine Nachrichten von mir abhören kann.«
Er setzte seinen Weg zum Hotel fort und freute sich schon darauf, mit Mama und den beiden Kindern am Abend ohne Anrufbeantworter sprechen zu können.

(c) 2019, Marco Wittler

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