740. Die Fünfer-Bande (Mann und Manni 03)

Die Fünfer-Bande

Putzen, putzen, putzen. Immer nur putzen. Ich konnte mir noch nie vorstellen, dass dieses Dauerputzen einem Spaß machen kann. Und doch sah ich sie vor. Mitten im Raum saß sie und leckte sich stundenlang über die Beine und ihr Fell.
Ach ja,falls dir das jetzt etwas komisch vorkommt. Wir sind hier keine Menschen. Wir sind Katzen. Für uns ist einfach alles anders.
Mein Name ist Manni und ich lebe hier in einem Haus voller Verrückter.
Da gibt es zum Beispiel Lord Schweinenase. Er ist schon immer mein Erzfeind gewesen, wenn es um die Verteidigung der Futterschüsseln geht. Er behauptet seit seiner Geburt, dass wir Geschwister sind. Ich halte das natürlich nur für ein Gerücht, denn wir haben nichts gemeinsam. Seine Nase in rosa wie eine Schweinepo, meine ist dunkelbraun bis schwarz. Er ist dürr wie ein Spargel und ich bin eher eine kräftige Natur. Während er meist dumm aus der Wäsche guckt und vor sich hin sabbert, bin ich der Schlaue in diesem Rudel.
Dann treibt hier seit Neuestem ein kleiner Zwerg sein Unwesen. Ein junges Ding, dass sich Mini-Mietze nennt. Sie denkt, sie wäre eine Superheldin und könne es mit jedem aufnehmen. Deswegen lauert sie auch hinter jeder Ecke und springt uns ständig an, wenn wir es am wenigsten erwarten. Das kann einem ganz schön auf den Keks gehen.
Neben uns Katzen wären dann da noch die Menschen zu erwähnen, die hier alles für uns machen. Die Frau kümmert sich wirklich liebevoll um uns. Sie streichelt uns, sie bürstet unser Fell, gibt uns regelmäßig schmackhaftes Futter in weißer Soße und verwöhnt uns zwischendurch mit wahnsinnig leckeren Snacks. Für einen Menschen macht sie das wirklich mehr als perfekt. Die würde ich auf keinen Fall wieder umtauschen.
Und dann ist da noch, eigentlich wäre er keine Erwähnung wert, der Mann. Er lebt hier mit uns im Haus. Wozu er nützlich ist, habe ich noch nicht herausfinden können. Er ist einfach da und verbraucht unnötig Sauerstoff. Aber wir haben uns mittlerweile an ihn gewöhnt und sehen ihn als eine Art Haustier an. Nicht nützlich aber ganz nett. Außerdem sieht das Sofa gleich viel wohnlicher aus, wenn er darauf sitzt.
Wenn ich mal unterwegs bin und spannende Kriminalfälle löse, unterstützt mich der Mann dabei. Ich gebe ihm kleine, nicht ganz so schwierige Aufgaben und er erledigt sie. Wir sind als Mann und Manni bekannt. Ein unschlagbares Team, dass von Bösewichtern in aller Welt gefürchtet wird. Wir könnten sogar noch besser sein, wenn – ja, wenn – uns nicht immer Lord Schweinenase und die Mini-Mietze dazwischen funken würden. Aber an dem Problem arbeite ich noch.
Es war Nacht, als ich mir über diese vielen Dinge meine Gedanken machte. Auch das ist für Katzen völlig normal. Wir liegen den ganzen Tag herum, halten die Augen geschlossen, tun so als würden wir schlafen, damit wir in der Dunkelheit unser wahres Ich herauslassen können. Würde uns je ein Mensch dabei beobachten, würde es ihn wohl sehr verstören.
Es war also tief in der Nacht, wie ich gerade schon erwähnte, als ich ein Geräusch von draußen hörte.
Neugierig kletterte ich aus meiner Schlafkiste im Regal, streckte den schmerzenden Rücken kräftig durch und trottete vom Schlaf- in das Wohnzimmer.
Es war nichts zu sehen. Alle anderen schliefen tief und fest und machten gratis Touren durch das Traumland. Konnte mir nur Recht sein.
Da hörte ich das Geräusch ein zweites Mal. Es klang wie ein verzweifelter Hilferuf. Seinen Ursprung hatte er allerdings nicht in unserem Haus. Er schien von der Straße zu kommen.
Ich mühte mich also am Sofa empor, kletterte auf die Fensterbank und warf den messerscharfen Blick eines Profiermittlers nach draußen.
Alles still und ruhig. Niemand war zu sehen. Dafür ertönte ein drittes Mal der erbitterte Ruf nach Hilfe. Nur Sekunden später raste ein Kater den Gehweg entlang.
Zuerst hatte ich ihn gar nicht bemerkt. Sein geflecktes Tarnfell war in der Dunkelheit kaum zu erahnen. Nur sein Schreien machte mich auf ihn aufmerksam. Es war ein Bengale. Einer, der mit seinem Aussehen so tat, als wäre er eine wilde Wildkatze, in Wahrheit aber ein schüchterner Feigling war.
Dafür wussten aber ganz andere, wo er sich befand. Wenige Meter hinter ihm erblickte ich sie: Die Fünfer-Bande, eine Gruppe räudiger Straßenkater, die nur eines konnten. Ärger machen und sich mit anderen anlegen.
Sie duldeten keine Konkurrenten in ihrem Revier. Jeder, der sich ihnen in den Weg stellte,wurde von ihnen gnadenlos verprügelt und verjagt. Wer hier bleiben wollte, musste sich ihnen ergeben und alles tun, was sie von einem verlangten.
Die einzigen, die vor ihnen sicher waren, traten auch nie vor die sichere Tür. Wir Hauskatzen waren da ganz klar im Vorteil.
Ein erneuter Schrei drang an mein empfindliches Gehör. Es vermischte sich mit boshaftem Geknurre. Die Bande hatte den Bengalen erwischt. Nur zu gut konnte ich mir ausmalen, was sie jetzt mit ihm anstellten.
Armer Junge. Aber er würde seine Lektion lernen. Da war ich mir sicher.
Schon wollte ich mich wieder auf den Weg in meine gemütliche Schlafkiste im Regal machen, als ich etwas hinter mir hörte. Jemand schlich sich in der Dunkelheit von hinten an mich heran.
Na gut, von Schleichen konnte in diesem Fall keine Rede sein, denn die Krallen desjenigen klackten unaufhörlich auf dem Boden.
»Was willst du von mir, Lord Schweinenase?«, fragte ich, ohne mich umzudrehen. »Solltest du nicht in irgendeiner Ecke deinen Schönheitsschlaf machen?«
»Kann nicht schlafen.«, murrte er und gähnte laut. »Der Krach hat mich geweckt.«
»Dann dreh dich einfach um und mach die Augen zu.«, wies ich ihn an.
Doch Lord Schweinenase kam dem nicht nach.
»Was ist denn da draußen los?«, wollte er von mir wissen.
Das hatte mir jetzt auch noch gefehlt. Ich wollte schlafen und hatte nun diesen neugierigen Kerl an der Backe. Ich seufzte und drehte mich nun doch um.
»Nichts weiter. Die Fünfer-Bande hat einen Bengalen verdroschen. Geh schlafen. Ich werde das jetzt auch wieder machen.«
»Aber wir können doch nicht zulassen, dass diese Verbrecher einen unserer Artgenossen verprügeln.«, war der Lord nun bei der Sache. »Wir sollten ihm helfen, bevor etwas Schlimmes passiert.«
Ich schüttelte den Kopf und wollte ihm gerade klar machen, dass das eine sehr bescheidene Idee war, als ich eine weitere, leise quietschende Stimme hinter mir hörte.
»Wenn wir ihn retten, dann bin ich natürlich dabei. Mit meinen Superkräften werde ich die Fünfer-Bande ganz allein fertig machen.«
Es war die Zwergenkatze.
»Mini-Mietze ist sofort zur Stelle. Ich setze mir nur noch meine Maske vors Gesicht, damit mich keiner erkennt. Meine wahre Identität muss ein Geheimnis bleiben.«
Wie konnte man sich nur noch kräftig überschätzen? Sie war nur ein paar Monate alt, wie sollte sie denn mit fünf Schwerverbrechern fertig werden?
»Verdammt nochmal, was ist denn da draußen für ein Lärm?«, kam nun auch noch der Mann aus dem Schlafzimmer. Wenn ihn nicht schon das Gebrüll auf der Straße geweckt hatte, dann höchstwahrscheinlich diese sinnlose Diskussion unseres Rudels.
Ich ging dem Mann entgegen und wollte ihn ins Bett drängen. Er hatte hier nichts verloren.
Doch dann hörte auch er das Geheule des Bengalen.
»Du meine Güte!«, war er entsetzt. »Da braucht jemand unbedingt unsere Hilfe.«
Ich hatte es befürchtet. Würde es nun doch noch zum Einsatz von Mann und Manni kommen?
er Mann zog sich seine Hausschuhe an die nackten Füße, was mir ein leichtes Grinsen entlockte. Dieser Mensch war so groß und doch so empfindlich. Barfuß traute der sich nirgendwo hin. Aus dem würde wohl nie eine Katze werden.
»Los Manni!«, rief er mir zu. »Lass uns draußen schauen, ob wir helfen können.«
Ich seufzte laut, schüttelte den Kopf und trottete ihm hinterher. Noch bevor ich die Haustür erreicht hatte, stürmten Lord Schweinenase und die maskierte Mini-Mietze an mir vorbei und in die tiefe Nacht hinein.
Auf dem Gehweg sah ich mich um. Der Bengale war die Straße nach unten gelaufen, seine Gegner ihm nach. Dorthin war auch mein Team unterwegs. Schon hinter der nächsten Ecke wurden wir fündig.
In einer Sackgasse saß der Bengale zusammen gekauert auf einer alten Bananenkiste und sah mit ängstlichen Augen immer wieder in die Runde.
Die Fünfer-Bande hatte sich vor ihm im Halbkreis aufgebaut. Sie alle lachten ihm immer wieder dreckig ins Gesicht und drohten ihm die schlimmsten Prügel an.
Keine Chance, dachte ich. Wie sollte ich mit meinem Team gegen diese Verbrecher ankommen? Wir waren ein Profi – damit bin natürlich ich gemeint – und drei Pfeifen, die vom gefährlichen Kampf gegen Katzen keine Ahnung hatten. Wenn wenigstens die Frau noch bei uns gewesen wäre, aber die lag in ihrem Bett und schlief.
Gerne hätte ich mit ihr getauscht. Ich konnte mir jetzt schon ausmalen, welches Gesicht ich am nächsten Morgen im Spiegel entdecken würde. Ohne meinen Schönheitsschlaf war mein Aussehen extrem gefährdet.
Während ich noch meinen Gedanken nachging und angestrengt überlegte, wie wir den Begalen aus seiner Situation befreien konnte, hörte ich plötzlich einen Kampfschrei aus der Luft über mir.
»ATTACKE!«, rief die Mini-Mietze, schwang sich an einem Seil von der einen zur anderen Straßenseite und hielt einen Gartenschlauch zwischen ihren kleinen Pfoten.
Hätte ich genug Zeit gehabt, hätte ich darüber nachgedacht, woher sie den organisiert hatte. So aber sah ich ihr nur dabei zu, wie sie ihn genau über der Fünfer-Bande aufdrehte und die Verbrecher nass machte.
Angst erfülltes Schreien erschallte über die Sackgasse. So in Panik hatte ich die Fünfer-Bande noch nie erlebt.
Als wäre der Tod hinter ihnen her, rannten sie in die dunkle Nacht hinaus und verschwanden.
»Geht doch.«, war die Mini-Mietze glücklich.
»Ja, geht.«, sagte ich zur Bestätigung und klopfte mir selbst anerkennend auf die Schulter. Hatte dieser Zwerg doch einiges von mir gelernt.
Der Bengale, der noch immer sehr ängstlich aus der Wäsche guckte, kletterte nun mehr als vorsichtig von seiner Kiste und kam uns entgegen.
»D-d-d-danke.«, stotterte er mit zitterndem Körper. »Ich glaube, die hätten mich umgebracht, wenn ihr nicht gekommen wärt.«
»Schon okay.«, sagte Lord Schweinenase, der sich ohne meine Erlaubnis einmischte. »Wir machen nur unseren Job.«
»Was macht ihr denn hier draußen?«, hörten wir plötzlich eine aufgebrachte Stimme hinter uns. Es war die Frau.
»Ich werde von lauten Krach geweckt, finde das Haus völlig leer vor und ihr treibt euch zu später Stunde auf der Straße rum. Seid ihr denn völlig verrückt geworden?«
Der Mann zuckte zusammen. Dann schnappte er sich den zitternden Bengalen und hielt ihn der Frau hin.
»Wir haben einem Kater in Not geholfen. Wir konnten nicht anders.«
Ja, genau. Da hatte der Mann ausnahmsweise mal Recht. Wir hatten wirklich in höchster Not und Eile gehandelt. Wir konnten gar nicht anders.
»Oh!«, machte da die Frau. »Der ist aber süß. Darf ich den behalten und mit ins Haus nehmen?«
Wie? Was? Behalten? War sie nun völlig verrückt geworden?
In unserem Haus war eigentlich nur Platz für eine Katze, und das war ich. Trotzdem musste ich den Platz und das Futter noch mit Lord Schweinenase und dem Katzenzwerg teilen. Jetzt auch noch einen bengalischen Angsthasen? Auf keinen Fall. Dagegen musste ich sofort etwas unternehmen.
Doch während ich mich noch ärgerte, war die Frau schon mit dem Bengalen im Haus verschwunden.
Verdammt! Zu spät. Ich sammelte also mein Team um mich und ging zurück. Jetzt gab es nur noch eines zu erledigen: Ich verkroch mich in meine Kiste im Regal und setzte meinen Schönheitsschlaf fort.

(c) 2019, Marco Wittler

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