752. Ein neuer Bewohner im Zoo (Anton und der Neelefant 01)

Ein neuer Bewohner im Zoo

Anton lebte in einem kleinen Loch, das sich in einer Wand befand. Die Wand selber befand sich in einem großen Zoo, in dem sehr viele verschiedene Tiere lebten. Das passte eigentlich ganz gut, denn Anton war eine kleine Maus. Der einzige Unterschied lag darin, dass Anton nicht in einem Käfig oder einem Gehege eingesperrt war. Er lebte frei und unentdeckt.
Anton ging gern, wenn alle Tierpfleger und Zoobesucher nach Hause verschwunden waren, durch den Park. Er besuchte kleine und große Tiere. Mal stibitzte er hier einen Krümel Futter mal dort ein Stückchen Käse. Er führte ein wirklich wunderbares Leben.
Mit fast jedem Tier war er mittlerweile befreundet. Nur zu den Katzenarten traute er sich nicht. Die hatten zu großen Appetit auf kleine Mäuse.
Eines Tages streifte Anton durch einen Teil des Zoos, den er noch nicht kannte. Hier hatten die Menschen wohl etwas Neues gebaut. Vor der kleinen Maus breitete sich ein großes Gebäude aus und daneben ein riesiges Gehege.
»Hier muss aber ein ziemlich großes Tier leben.«, staunte Anton und sah sich neugierig um. »Wer mag wohl der Herr von diesem Häuschen sein?«, fiel ihm die Textzeile eines bekannten Märchens dazu ein.
Die große Eingangstür war verschlossen. Sie wäre allerdings auch zu schwer für Antons kleine Arme und Pfoten gewesen. Deswegen suchte er nach einem kleinen Loch, durch das er schlüpfen konnte.
Nach einer Weile entdeckt er auch etwas. Ein Fenster stand einen Spalt breit auf. Er war gerade groß genug, um einer Maus Einlass zu gewähren.
Anton kletterte zum Fenster hinauf und kroch in das Gebäude.
Im Innern roch es bereits nach Tier. Allerdings kannte Anton diesen Geruch noch nicht. Es handelte sich bei dem neuen Bewohner also um ein noch unbekanntes Tier.
»Hallo?«, rief Anton laut.
»Ist hier jemand?«
Zuerst blieb alles still. Doch dann regte sich ein riesig großer grauer Stein, der inmitten eines Heuhaufens lag.
»Hallo.«, antwortete der Stein und drehte sich um.
Da fiel Anton auf, dass der Stein gar kein Stein war, sondern ein Elefant.
»Hallo.«, begrüßte Anton den Elefant. »Ich bin Anton, die kleine Maus und lebe hier ganz in der Nähe. Ich hoffe, dass du keine Angst vor mir hast. Ich habe nämlich mal gehört, dass Elefanten ein kleines Problem mit Mäusen haben.«
Der Elefant grinste breit, er hob sich von seinem Schlafplatz und drehte sich zu Anton um.
»Also ich habe keine Angst vor kleinen Mäusen. Das liegt wohl daran, dass ich kein Elefant bin.«
Anton rieb sich die Augen und dachte angestrengt nach. Er war sich sicher, dass er einen Elefanten erkennen könne. Er hatte schon ein paar von ihnen auf Büchern des Zoodirektors gesehen.
»Bist du dir sicher, dass du kein Elefant bist?«, fragte er noch einmal nach.
Der Elefant nickte. »Ich bin kein Elefant, sondern ein Neelefant. Das ist ein großer Unterschied.«
»Was ist denn der Unterschied?«, wollte Anton wissen.
»Ein Neelefant hat keine Angst vor Mäusen.«, kam die belustigte Antwort, die von einem lauten Tröten des langen Rüssels begleitet wurde.
»Es freut mich, dich kennenzulernen.«, sagte Anton. »Was treibt denn einen Neelefanten in unseren Zoo?«
Der Neelefant bekam plötzlich einen traurigen Gesichtsausdruck.
»Ich bin nicht freiwillig hier. Ich bin in meiner Heimat eingefangen und hierher verschleppt worden. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie einsam und allein ich mich fühle. Dazu plagt mich auch noch großes Heimweh.«
Stimmt. Das konnte Anton wirklich nicht nachempfinden. Er lebte schon sein ganzes Leben in Freiheit und hatte sein Heim im Zoo freiwillig ausgewählt.
»Ich könnte dir helfen, hier herauszukommen.«, schlug Anton vor. »Vielleicht schaffen wir es gemeinsam, dich zurück in deine Heimat zu bringen.«
Der Neelefant seufzte laut. »Wie soll das denn funktionieren? Ich bin hier eingesperrt und habe keinen Schlüssel zur Tür. Den haben die Menschen mitgenommen.«
Anton kletterte zur Gittertür und sah sich die Verriegelung an. Dann verformte er seinen Schwanz zu einem Schlüssel, steckte ihn in das Schloss und ließ es klicken.
»Die Tür ist auf. Wir können gehen.«
Der Neelefant bekam große Augen.
»Das ist ja der helle Wahnsinn. Ich wusste gar nicht, das kleine Mäuse so geschickt sein können.«
Der Neelefant griff mit dem Rüssel nach Anton und gemeinsam verließen sie das Gebäude.
Anton zeigte dem großen, grauen Riesen den Weg zum Ausgang des Zoos, den sie nach nur wenigen Minuten erreicht hatten.
»Und was machen wir jetzt?«, wollte der Neelefant wissen. »Hier auf der Straße ist auch nicht so schön wie in meiner Heimat.«
Anton überlegte kurz und sah sich um. Auf einem der Straßenschilder entdeckte er das Wort ‚Flughafen‘.
»Das ist es.«, jubelte er. »Da müssen wir hin. Mit einem Flugzeug können wir dann in deine Heimat fliegen.«
Im Schutz der dunklen Nacht trotteten sie durch die Stadt. Wäre um diese Zeit ein Mensch wach gewesen, hätte er sich bestimmt über den wandernden Neelefanten sehr gewundert. So blieben die beiden Tiere aber unentdeckt und erreichten schon bald ihr nächstes Ziel.
Auf dem Rollfeld standen viele verschiedene Flugzeug. Doch auf keinem stand geschrieben, wohin die Reise gehen sollte.
»Wir brauchen also ein eigenes Flugzeug.«, entschied Anton. »Ich habe da auch schon eine Idee.«
Der Neelefant lief von einer Flugzeuggarage zur nächsten. In einer von ihnen fanden sie ein großes Papier, das jemand achtlos in einer Ecke hatte liegen lassen.
»Hast du schon mal einen Papierflieger gefaltet?«, fragte Anton.
»Nein.«, antwortete der Neelefant.
Also erklärte Anton, was sie machen mussten und der Neelefant kümmerte sich um den Rest.
Eine Stunde später lag vor der Flugzeuggarage ein riesig großer Papierflieger. Auf ihm saßen ein grauer Neelefant und eine kleine Maus. Beide wurden ganz kribblig, während sie warteten.
Nur – worauf warteten sie eigentlich? Sie warteten auf das, was nun geschah. Ein Windstoß ergriff den Papierflieger und hob ihn hoch in die Lüfte.
»Hui, ist das cool.«, lachte Anton und der Neelefant freute sich riesig. Es ging endlich los. Sie waren auf dem Weg ins Neelefantenland.
Der Flieger hob die beiden immer höher. Es ging über die Wolken und irgendwann auch wieder darunter, bis sie ihr Ziel erreicht hatten.
Überglücklich drückte der Neelefant die Maus mit dem Rüssel.
»Ich weiß gar nicht, wie ich dir für deine Hilfe danken soll.«
Anton winkte ab. »Ist schon gut. Deine Freundschaft ist mir Lohn genug.«
Der Neelefant dachte nach. »Ich hab da eine grandiose Idee. Was hältst du davon, wenn du bei mir bleibst, hier im Neelefantenland? Wir könnten mit unserem Papierflieger immer wieder Reisen unternehmen und Abenteuer bestehen. Ist das eine tolle Idee?«
Flehend sah der Neelefant die Maus an. Anton musste gar nicht lange überlegen.
»Ich bin dabei. Lass uns die Welt bereisen.«
Doch vor dem nächsten Abflug nahm die Maus einen dicken Pinsel zur Hand und gab dem Papierflieger einen Namen: Neelefanten-Express.

(c) 2019, Marco Wittler

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