764. Der Geist aus dem Kinderzimmer

Der Geist aus dem Kinderzimmer

Leni saß mit Mama und Papa auf dem Sofa im Wohnzimmer. Gemeinsam spielten sie gerade ein Brettspiel. Beim ‚Mensch ärgere dich nicht‘ liefen die bunten Holzpüppchen im Kreis herum. Papa war kurz davor zu gewinnen. Mama würde wohl als Zweite ihre Figuren ins Ziel bringen. Leni war von dieser Runde enttäuscht. Seit langer Zeit würde sie dieses Mal wohl verlieren.
»Ach, das macht mir heute keinen Spaß.«, sagte Leni und seufzte. »Können wir nicht ein anderes Spiel spielen?«
»Den Vorschlag machst du doch nur, weil du nicht gewinnst.«, antwortete Papa und zwinkerte seiner Tochter zu.
Leni grinste breit.
»Man kann es ja mal versuchen.«
Dann griff sie wieder zum Würfel und durfte anschließend nur ein einziges Feld vorrücken.
»So wird das nie was.«, verdrehte sie die Augen.
In diesem Moment ertönte ein seltsames Heulen aus dem Kinderzimmer. Mama, Papa und Leni sahen sie verwirrt an. Was konnte das nur sein?
Ein weiteres Mal hörten sie das schaurige Geräusch. Sekunden später tauchte ein weißes, flatterndes Etwas auf und raste auf die Familie zu.
»Hilfe!«, schrie Mama. »Ein Geist!«
Tatsächlich. Ein kleiner, heulender Geist schwebte in hohem Tempo auf sie zu, hob kurz vor dem Tisch ab und flog über das Spielbrett hinweg. Dabei wurden alle Figuren zu Boden geschleudert.
Einen Moment später begann Papa zu lachen. Er stand auf und ging auf den Geist zu, der sich hinter der Zimmertür versteckt hatte.
»Sei bloß vorsichtig.«, warnte Mama. »Ich hab Angst, dass er dir etwas antut.«
Aber Papa griff beherzt zu und hob den Geist hoch. Das weiße Laken, aus dem Geister üblicherweise bestanden, war ein T-Shirt. Darin steckte eine Mietzekatze.
»Och, Nelly!verdrehte Mama die Augen. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht in der Dreckwäsche spielen sollst. Du hast uns ganz schön erschreckt.«
»Mich nicht.«, lachte Leni. »Außerdem ist sie meine Komplizin. Jetzt kann ich nämlich nicht mehr das Spiel verlieren.«
Mit breitem Grinsen sah sie auf das Spielbrett hinab, das nun leer auf dem Tisch stand.

(c) 2019, Marco Wittler

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