840. Gedankenreise

Gedankenreise

Die dreizehnjährige Emmi saß allein am Strand und ließ sich den kräftigen Wind um die Nase wehen, der vom Meer her über die Küste zog. Hin und wieder fielen einzelne Regentropfen auf ihr Gesicht. Ort und Zeit waren perfekt. Besser konnte es nicht werden. Endlich einmal Ruhe von der Familie.
Sie schloss die Augen und lehnte sich langsam mit dem Rücken an einen großen Stein. Jetzt einfach nur die Seele baumeln und die Gedanken schweifen lassen.

Doch in diesem Moment hörte Emmi Schritte hinter sich, die näher kamen. Dieser perfekte Moment war dahin.
»Was machst du hier?«; hörte sie die Stimme ihres großen Bruders..
Sie seufzte, hielt aber die Augen weiter geschlossen und gab auch keine Antwort.
»Mama hat mich geschickt. Sie will wissen, warum du bei dem schlechten Wetter hier draußen bist.«
Emmi schüttelte kaum merklich den Kopf.
»Ich reise in meinen Gedanken um die ganze Welt. Aber das kannst du natürlich nicht verstehen.«
Ihr Bruder dachte kurz nach, begann dann zu lachen.
»So ein Blödsinn. Mit Gedanken kann man gar nicht um die Welt reisen. Dafür braucht man ein Flugzeug. Sowas Kindisches. Werd endlich erwachsen.«
Er ging zurück zum Haus und ließ seine Schwester am Strand zurück.
»Selber kindisch. Wer seine Fantasie verloren hat, ist ein armer Mensch.«
Emmi lächelte. Dann spannte sie in Gedanken ihren Flugdrachen auf, ritt mit ihm auf dem Wind und flog über viele Ländergrenzen hinweg.

(c) 2020, Marco Wittler

Bild: Clker-Free-Vector-Images auf Pixaybay

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