853. Ich zerpflückte den Honigdieb (Mann und Manni 11)

Ich zerpflückte den Honigdieb

Es war ein schöner, lauer Herbsttag, der mich mit seinen warmen Sonnenstrahlen nach draußen lockte. Ich schritt also durch die Klappe in der Haustür ins Freie und sah mich um.
Moment, magst du dir jetzt vielleicht denken. Wer schreitet denn so einfach durch eine Klappe und benutzt nicht die Tür, wie jeder andere auch.
Das hat schon seine Richtigkeit, denn ich bin ein ziemlich stattlicher Kater, der auf den Namen Manni hört.
Ich schritt also durch die vorher genannte Klappe und musste dabei Sorge tragen, dass mein stattliches Hinterteil nicht hängen blieb.
Versteh mich bitte nicht falsch. Mein Po war nicht dick. Das würde ich weit von mir weisen. Meine Körperfülle wurde von meinem dichten Fell bestimmt, auch wenn mehrere Mitbewohner meiner WG etwas anderes behaupten würden. Aber lassen wir dieses unangenehme Thema und wenden wir uns den wichtigen Dingen zu.
Draußen wendete ich mich dem nahen Wald zu. Gerade in dieser Jahreszeit war es dort besonders schön. Erste Blätter färbten sich bunt, fielen zu Boden, es gab duftende Beeren an grünen Sträuchern und ständig flitzten Eichhörnchen durch die Gegend, die sich einen Vorrat für den Winter ansammelten.
Mir taten diese kleinen Fellknäuel leid. Sie nahmen wahnsinnig viel Anstrengung in Kauf, um ein paar geschmacklose Nüsse und Eicheln zu speichern, während es doch im Laden um die Ecke leckeres Nassfutter in Dosen gab.
Ich gelangte zu einer nahen Lichtung, auf der ich es mir in der Sonne gemütlich machte. Um mich herum zwitscherten die Vögel und summten die Insekten. Besonders laut war es aber in einem nahen Baum.
Neugierig sah ich mir die Sache genauer an. Im Stamm einer alten Eiche hatte, wohl schon vor Jahren, ein Specht ein tiefes Loch geschlagen. In dieser nicht gerade kleinen Höhle war nun ein wildes Bienenvolk eingezogen.
Hach ja, die Natur war schon etwas Tolles. So etwas sah man nun wirklich nicht jeden Tag. Nur … irgendwas war da trotzdem faul. Die kleinen Insekten waren sehr aufgeregt. Sie flogen ständig rein und raus, umringten den Stamm und hielten immer wieder auf ein Ziel zu, dass ich nicht sehen konnte. Es musste sich auf der anderen Seite des Baumes befinden.
Ich umrundete die Eiche und sah schnell, was sich da tat. Am Stamm kletterte gerade ein Honigdachs hinauf. Er hatte es wohl nicht nur auf den süßen Goldsaft abgesehen, sondern würde sich wohl auch an den Bienen satt fressen. Es musste also schnell etwas geschehen. Es ging um Leben und tot.
Ich erinnerte mich an eine Dokumentation, die sich der Mann aus unserer WG einmal angesehen hatte. Davon war mir sehr lebhaft im Kopf geblieben, dass Honigdachse extrem gefährlich und aggressiv waren. In Ernstfällen kämpften sie auch gegen Raubkatzen, Giftschlangen und Stachelschweinen. Es wäre also sehr unklug gewesen, sich mit ihm anzulegen. Ich konnte also nur zusehen, wir er ein ganzes Bienenvolk vernichtete oder brauchte Hilfe. Zum Glück entschied ich mich für Letzteres.
Ich setzte mich auf meinen Po, nahm die Pfoten ins Maul, pfiff laut und wartete.Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sich ein kleiner, brauner Wirbelwind näherte, der mich seltsamerweise an einen tasmanischen Teufel erinnerte. Allerdings wusste ich nur zu gut, dass dieser Wirbelwind sehr viel gefährlicher und unberechenbarer war. Es war die Mini-Mietze, die nun vor mir stehen blieb und sich gierig nach einer Auseinandersetzung umsah.
Wortlos zeigte ich auf den Honigdachs. Sie sah am Baum hinauf, nickte und raste los.
Der hungrige Angreifer wusste gar nicht, wie ihm geschah. In wildem Stakkato trommelten plötzlich spitze Krallen auf ihn ein. Seine sonst so robuste und undurchdringliche Haut bekam erste Wunden, aus denen Blut tropfte. Ich sah schnell, dass es sich nicht um gefährliche Verletzungen handelte, vielmehr waren sie äußerst schmerzhaft, was für den Dieb etwas völlig Ungewohntes und Neues war.
Mit einem lauten Heulen ließ er von seiner Beute ab, sprang zu Boden und sauste in den Wald hinein. Sekunden später war er verschwunden und nicht mehr zu sehen.
»Lass dir das eine Leere sein. Mit uns legt man sich nicht ungestraft an.«
Die Mini-Mietze kam wieder zum Boden herunter. Man sah ihr die Enttäuschung an, dass der Kampf nur von kurzer Dauer gewesen war. Trotzdem nickte sie mir dankbar zu und ging mit Stolz im Blick nach Hause.
Gute Arbeit. Die Bienen waren gerettet. Wir hatten alles gegeben. Jetzt konnte ich mir die verdiente Belohnung gönnen. Ich legte mich zurück auf die Lichtung und genoss die Sonne.
Doch eine Kleinigkeit störte mich. Wenige Meter entfernt lag ein alter, stinkender Schuh.
Ich seufzte. Irgendwas war ja immer.

(c) 2020, Marco Wittler

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